Blut im Haifischbecken

Mit dem Angriff auf den thailändischen Baht begann die Asienkrise – und eine der erfolgreichsten Währungsspekulationen aller Zeiten. US-Geldmanager verdienten Milliarden. Der gefeuerte thailändische Notenbankchef erinnert sich mit Bitterkeit:

„Die Attacke war unfair.“Es war einer jener Frühlingsabende in Bangkok, an denen die Klimaanlage in der thailändischen Zentralbank nicht fertig wurde mit Gewitterluft und Feierabendsmog, die sich über die Millionenstadt gelegt hatten.

Im vierten Stock des grauen Betonkastens schwitzte ein unscheinbarer Mann in dunklem Anzug hinter seinem Schreibtisch. Rerngchai Marakanond, oberster Währungshüter Thailands, kämpfte sich durch die letzte Akte, die er noch bearbeiten wollte. Von den Devisenmärkten Asiens, deren nervöse Händler ihm in den vergangenen Monaten schlaflose Nächte bereitet hatten, drohte um diese Stunde keine Überraschung mehr.

Die meisten Trader in den Glastürmen von Hongkong und Singapur hatten ihre Computerschirme bereits abgeschaltet. Der thailändische Baht, über dessen Wechselkurs Rerngchai wachte, lag scheinbar stabil wie ein Schlachtschiff im Markt.

Gleich würde auch er die Sachen zusammenpacken, sich in seinen silbernenMercedes setzen und nach Hause fahren. Seine Frau wartete mit dem Abendessen.

Sie wartete vergebens. Ihr Mann hatte Großes vor sich – die Verteidigung der Landeswährung. In jener Nacht blickte er erstmals in das Zentrum jenes Währungstaifuns, der die Region Monate später in den Abgrund reißen sollte.
Inzwischen sind die Aktienkurse und Währungen in Südkorea und Indonesien, in Malaysia und Thailand abgestürzt, kämpfen einst expandierende Asienkonzerne ums Überleben, und die Menschen der einstigen Boomregion ringen verzweifelt um ihre Zukunft. In Indonesien herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände: Not und Wut treiben die Menschen auf die Straßen, Geschäfte werden in Brand gesetzt, Kaufhäuser geplündert, Präsident Suharto, seit 32 Jahren an der Macht, mußte vergangenen Donnerstag zurücktreten.

Je schlimmer die Asienkrise und ihre Folgen werden, um so rätselhafter erscheint selbst Experten, wie es dazu kommen konnte. Warum ist eine komplette Volkswirtschaft wie die thailändische heute weniger wert als der Siemens-Konzern? Wieso fiel den Fachleuten so spät auf, daß die Wirtschaftssysteme der Asiaten kriselten?

Thailands ehemaliger Notenbankchef Rerngchai hat den Beginn des Bebens so deutlich wie kaum ein anderer zu spüren bekommen, und er kann, sagt er, die Verursacher identifizieren: europäische und amerikanische Banken.
An jenem Frühlingsabend im vergangenen Jahr meldete sich der Chefdevisenhändler der Zentralbank telefonisch bei ihm. Was der Mann mit hastiger Stimme berichtete, ließ Rerngchai schaudern.

Seit ein paar Minuten attackierten amerikanische und britische Banken in London und New York die thailändische Währung: Wie wertloses Stroh würden die Händler Hunderte Millionen Baht auf den Markt werfen und dafür Dollar fordern, japste der Kollege.

Die Computer seien mit Verkaufsordern regelrecht überflutet, doch kaum jemand wolle das Zeug haben. Die Zentralbank müsse eingreifen und Baht aufkaufen, um einen herben Verlust zu verhindern.
Dem Notenbankchef war klar, sagte er später, daß er am Anfang seines wohl schwersten Gefechts stand. Dies waren keine normalen Transaktionen, bei denen Investoren oder Konzerne ein paar Millionen Baht gegen Dollar tauschten.

Seine Gegner waren mächtige Währungsartisten, die am anderen Ende der Welt hocken. Sie sitzen hinter ihren Computerterminals, in Londons Financial District und in den Wolkenkratzern Manhattans. Sie hacken ihre Offerten ins Datennetz und schießen sekundenschnell riesige Geldsummen in der Welt umher. Sie riefen an jenem Abend ihren Kollegen von den anderen Banken zu: Heute quetschen wir die Thailänder, seid ihr auch dabei?

Diese Männer haben die Mentalität von Pokerspielern und besitzen eine Spekulationskasse von mehreren Milliarden Dollar. Ihr Ziel waren die Konten von Rerngchais Notenbank, in denen rund 38 Milliarden Dollar Reserven lagerten.

„Jetzt geht es los“, erinnert sich der Zentralbankchef an seine Empfindungen, „jetzt wollen sie uns killen.“

So begann am 13. Mai 1997 die Schlacht um den Baht. Was zunächst so aussah wie ein Scharmützel am entlegensten Ende des Finanzdschungels, entwickelte sich in wenigen Wochen zu einem Sturm – und schließlich zur schwersten Finanzkrise der Nachkriegszeit, die nicht nur die thailändische Wirtschaft in den Abgrund riß, sondern alle asiatischen Tigerstaaten verletzte.

In einem verzweifelten Abwehrkampf, weit dramatischer als das Finanzgefecht um das englische Pfund 1992, verpulverte Thailand nahezu alle Dollar-Reserven. Nur der Internationale Währungsfonds rettete das Land vor dem Bankrott, ebenso wie später Südkorea und Indonesien. Vergleichbares hatte die Welt seit dem Crash von 1929 nicht mehr erlebt.

Der Kampf um den Baht ist ein Lehrstück über die modernen Finanzmärkte, wo oft rührige Zentralbankiers und schläfrige Finanzpolitiker gegen die Schar schillernder Spekulanten antreten. Die Thailänder bezahlten mit sozialem Abstieg, die Spekulanten wurden mit Milliarden belohnt. Für sie war es eine der erfolgreichsten Währungsspekulationen aller Zeiten.

Insgesamt rund 30 Milliarden Dollar verlor die Bank von Thailand in ihrem Abwehrkampf, ermittelte jetzt eine Untersuchungskommission in Thailand. An die acht Milliarden davon, so errechneten die Chefs amerikanischer und deutscher Finanzinstitute in Bangkok, haben sogenannte Hedge-Fonds und mächtige Investmentbanken aus den USA und England verdient. Und anders als vielfach angenommen, waren es nicht asiatische Finanzkünstler, sondern Routiniers aus New York und London, die den Crash in Gang setzten.
Hat also doch eine Verschwörung westlicher Spekulanten die Länder Südostasiens in den Abgrund gestoßen, wie der malaysische Premier Mahathir Mohamad behauptet hat? Will der US-Kapitalismus den asiatischen Aufsteigern sein System aufzwingen, wie viele glauben? Oder sind die Glücksritter der Währungsmärkte schlicht zu mächtig geworden?

Der ehemalige Notenbankchef von Thailand schüttelt sanft den Kopf. Jede allzu schlichte Erklärung lehnt er ab. Rerngchai weiß, daß die Spekulanten eine tragende Rolle in dem Drama spielten. Er weiß aber auch, daß sein Land am Niedergang nicht ganz unschuldig war.

Die „Stadt der Engel“, wie Bangkok auf Thai heißt, war schon zuvor eine kranke Metropole. Wenn der Zentralbankchef aus dem Fenster seiner Wohnung sah, ragten vor ihm Bangkoks Bauruinen wie abgebrochene Zähne in den Himmel. Auf dem Weg zur Arbeit passierte er leere Fabrikhallen und ausgeräumte Büros.
Der glitzernde Aufschwung der vergangenen Jahre war zum großen Teil ein Boom auf Pump gewesen, nun war er ins Stocken geraten: Den Firmen ging das Geld aus, die Aufwertung des Dollar machte ihnen zu schaffen, ihre Konkurrenzfähigkeit sank. Die meisten waren hoch verschuldet – vorwiegend in Dollar und japanischen Yen, weil sie dafür niedrigere Kreditzinsen zahlten.
Sollte der Baht nur ein bißchen schwächer werden, würde der Schuldenstand automatisch steigen. Eine schmerzhafte Zangenbewegung käme in Gang: Um ihre Dollar-Schulden auszulösen, brauchten die thailändischen Firmen mehr Baht. Aber woher nehmen? Auf den Weltmärkten, wo sie ihr Rohmaterial in Dollar einkaufen, würden die Preise in Baht steigen und die Gewinne zwangsläufig schrumpfen.

Die Notenbanker kennen die grausame Wirkung einer Abwertung. Deshalb würden sie vieles tun, um das zu vermeiden.
Rerngchais Vorgänger hatten vor 14 Jahren den Baht fest an den Dollar gekoppelt und die Bindung seither fleißig verteidigt – obwohl immer mehr Fachleute die Währung für überbewertet hielten. So glich Thailands Ökonomie zum Schluß fast einem Kartenhaus. Schon ein kräftiger Windzug konnte es zum Einsturz bringen.

Die Profis der Investmentbanken witterten ihre Chance. „Wir sind wie Wölfe, die auf dem Bergkamm hocken und auf eine Herde Elche lauern“, sagt ein Geldmanager, der in Thailand dabei war.

An jenem Abend im Mai war es soweit: Das Rudel griff an.
Kaum waren die ersten Meldungen von der Attacke bei Rerngchai eingetroffen, ließ er die Direktoren zur Krisensitzung rufen. Die Stimmung war gespannt, die Experten schauten ratlos in die Runde: „Was sollen wir tun?“ fragte der Chef.
Sollten sie ihre Dollar-Reserven einsetzen und Baht aufkaufen, damit der Druck auf die Währung gemildert wird? Oder sollten sie den Spekulanten nachgeben und den Wechselkurs freigeben? Bezahlen würden dann die kleinen Leute und die Firmen. Deren Baht-Konten wären über Nacht entwertet.

Die Notenbanker mochten an diese Lösung gar nicht denken. Eine Freigabe wäre Verrat: Haben Rerngchai und seine Vorgänger nicht stets den Leuten zugerufen, der Baht sei sicher, worauf sich das halbe Land bis unters Dach verschuldet hat?
Und was sollte aus ihm selbst werden? 25 Jahre lang hatte er sich durch die Ränge der Bank nach oben gedient. Er sah Regierungen kommen und gehen, überlebte Militärputsche und diente vielen Finanzministern. Die Bank war sein Fixpunkt, selbst seine Ehefrau lernte er hier kennen. Und jetzt sollte er alles gefährden?

Während die Nacht über Bangkok hereinbrach und die meisten Banker längst zu Hause waren, „bewegte uns alle nur noch eine Frage: Wie können wir den Baht verteidigen?“ berichtet Vizegouverneur Siri Ganjarerndee über die Krisenrunde.
Immer dramatischer wurden die Meldungen aus der Devisenabteilung. In London, hieß es, boten Trader den Baht in größeren Mengen zum Verkauf an: Für „10 Dollar“, „20 Dollar“ oder gar „50 Dollar“ – was in ihrer Kürzelsprache für 10 Millionen, 20 Millionen oder 50 Millionen Dollar steht.

Gewährsleute auf dem Währungsmarkt, eine Art Zentralbank-Geheimdienst, riefen aufgeregt in der Bangkoker Zentrale an: Einige Händler würden Gerüchte streuen, Thailand gebe bald auf, die Dollar-Bindung falle schon in Kürze. Ein alter Trick, glaubte Rerngchai, mit dem Spekulanten Stimmung gegen den Baht schürten – aber in dieser Lage war das Gerücht gefährlich.Noch waren im Markt überwiegend britische und US-Banken aktiv, so sahen es die Notenbanker an ihren Computern: die National Westminster Bank aus London, oder die englische Bank Standard Chartered etwa.

Doch was passiert, wenn in Tokio die ersten Trader ihre Terminals anschalten? Läßt sich die Welle dann noch stoppen? Könnten nicht die befreundeten Notenbanken in Amerika und Europa ebenfalls Baht aufkaufen und so den Absturz der Währung verhindern? Vielleicht reicht ja schon die Ankündigung einer weltweiten Stützungsaktion?

In ihrer Verzweiflung sandten die Thailänder einen Notruf um die ganze Welt: Per Fax baten sie wichtige Zentralbanken in Europa und Amerika um Hilfe.
Die Resonanz blieb karg. Die Bundesbank bat um schriftliche Mitteilung, ob deutsche Banken die Spekulanten unterstützten. Die Amerikaner lehnten eine Intervention von vornherein ab. So sei nun mal der Kapitalismus, da könne man nichts machen, teilten sie dem Notenbankkollegen in Bangkok telefonisch mit.
Doch zu dieser Zeit war niemand bereit, aus der eigenen Dollar-Reserve gegen die Angreifer zu spekulieren. „Es war beängstigend“, erinnert sich Notenbankchef Rerngchai, „wir waren allein in einem großen Spiel gegen ein kleines Land. Sie ließen uns alle im Stich.“

Früh am Morgen, als Asiens Währungshändler ihre Computer einschalteten, gab Rerngchai den Befehl, den Kurs zu stützen. Eine weitere Zunahme der Baht-Verkäufe sollte so verhindert werden. Der Tresor der Bank of Thailand wurde gleichsam geöffnet, die erste Milliarde per Computer in die Schlacht geworfen.
Schon wenige Sekunden später kam die Reaktion. Wie mit einem riesigen Staubsauger saugten die Geldhändler die Dollar von den Konten der Zentralbank. Gebannt starrten die Devisenhändler in Bangkok, die die ganze Nacht an ihren Tischen gewacht hatten, auf die grünen Ziffern, die über ihre Computerbildschirme flackerten und den Wechselkurs des Baht anzeigten.
Immer schneller begann der Kurs zu steigen, die Gefahr schien gebannt. Der Sieg hielt nicht lange. Große Investmentbanken verkauften Baht im Wert von mehreren Milliarden US-Dollar, allein eine US-Bank setzte zwei Milliarden Dollar gegen die Thailänder. Der Kurs, den Rerngchai auf 25,88 Baht für den US-Dollar festgelegt hatte, stürzte bis auf 26,40 Baht. Eigentlich durfte dieser Wechselkurs nur um 0,02 Baht überschritten werden.

Am Nachmittag um halb fünf hatten die Bankiers fünf Milliarden Dollar verpulvert, doch das sollte nicht reichen. Wieder trafen sich die Bankiers zu einer hektischen Sitzung und fällten die fatale Entscheidung, die Währung „ohne jedes Limit“ zu verteidigen. „Meine Leute waren nahe am Zusammenbruch“, erinnert sich Rerngchai. Doch wenige Stunden später war die Zentralbank weitere fünf Milliarden Dollar los.

An diesem Abend herrschte knapp 1500 Kilometer südlich, in Harry’s Bar am Hafenkai von Singapur, Frontstadt-Atmosphäre. Die Metropole am Südchinesischen Meer ist wichtigster Handelsplatz für den Baht außerhalb Bangkoks, die Edelspelunke seit langem ein Treffpunkt der Zocker.
Hier kippte einst der Aktienprofi Nick Leeson seine Bloody Mary, bevor er 1,3 Milliarden Dollar verspielte und schließlich verhaftet wurde. Was an den Bartischen getönt wurde, so ein Augenzeuge, ließ für die nächste Woche nichts Gutes ahnen.

„Sturmreif schießen“ wollte ein Händler die Thailänder, ein anderer prophezeite eine „große Schlacht“. Spekulanten und Investmentbanken würden so lange angreifen, bis den Thailändern die „verdammten Dollars“ ausgehen.
Viele hier hatten in den vergangenen Monaten mitbekommen, wie mächtige New Yorker Geldmanager wie Goldman-Sachs-Chef Jon Corzine den Baht als Ziel fixieren ließen. Den Amerikanern schien Thailand als der schwächste Tiger, dem bald die Luft ausgehen sollte.

Schon im August 1996 hatte der Ökonom Jeph Gudznik, der mehrere US-Spekulanten berät, in einem vertraulichen Bericht an seine Klienten prophezeit, daß die thailändische Zentralbank die Währung nicht mehr lange stützen könnte.
Im Februar waren Bangkoks Nobelhotels belegt mit Abgesandten aus dem New Yorker und Londoner Geldhandel. Führende Spekulanten hatten Emissäre vor Ort geschickt, die den Gegner taxieren sollten.

Am 14. Februar, in den USA der Valentines Day, ein Feiertag der Liebe, attackierten US-Investmentbanken die thailändische Währung schon mal mit kleinen Verkaufsschüben. Die Zentralbank mußte rund zwei Milliarden Dollar zur Verteidigung einsetzen. In den Währungsabteilungen der mächtigsten Banken gerieten die Manager allmählich in Jagdstimmung.

Für die große Attacke schien es ihnen noch zu früh, erinnert sich der Devisenspezialist einer großen US-Bank in Hongkong: „Um eine Institution wie die Bank von Thailand in die Knie zu zwingen, muß man sie ganz hart stoßen.“
Dazu starteten die Händler zunächst eine Art Propagandaoffensive. Investmentbanken und Fondsmanager verbreiteten Berichte, in denen sie die Zukunft Thailands in düsteren Farben schilderten.
Sie stuften die thailändischen Aktien herab. Sie verwiesen darauf, daß die Politiker korrupt und unfähig seien. Und mit jeder neuen Depesche in ihren Analystenreports wuchs die Verachtung für „die Kerle in Bangkok“, wie Rerngchais Truppe in der Szene hieß.

Es waren ungleiche Gegner, die da aufeinanderprallten. Die Bank von Thailand ist ein Hort buddhistischer Friedfertigkeit. Die oberste Geldbehörde des Landes beschäftigt rund 5000 Mitarbeiter, gilt als Staat im Staat, mit fast grenzenloser Macht: Regierung und Volk schenkten den Währungshütern blindes Vertrauen. Mit ihrer Kriegskasse von fast 40 Milliarden Dollar, so glaubte man, würden sie jeden Angriff abwehren – eine Fehleinschätzung.

Die Gegner waren einfach zu mächtig. Sie kommandieren sogenannte Hedge-Fonds, Bastionen eines rauhen Individualismus, mit guten Chancen auf das große Geld: „Hedge-Fonds-Manager zu sein ist besser als Rockstar oder Profisportler“, sagt Byron Wien, Ökonom der US-Investmentbank Morgan Stanley: „Es ist fast zu gut, um wahr zu sein.“

Es sind elitäre Clubs von ein paar hundert reichen privaten Investoren, von Banken und Versicherungen, die sich nicht selten mit mindestens fünf bis zehn Millionen Dollar am Fonds beteiligen müssen. Sie sind die mächtigsten, aber auch die verschwiegensten Akteure im Geldgeschäft – kontrollieren kann sie so recht niemand. Ihre Büros liegen in London, New York oder an den Ufern des Long Island Sound, aber einen Großteil ihrer Finanzmacht haben sie auf exotischen Inseln wie den Caymans, Antigua oder Jersey versteckt. Ihre Ziele sind oftmals Aktien oder Währungen, bei denen sie mit einem Kursabsturz rechnen, um daran zu verdienen – indem sie die Papiere „short“ verkaufen.
Obwohl Hedge-Fonds-Manager Individualisten sind, habe es beim Angriff auf den Baht, so berichten Manager deutscher, britischer und amerikanischer Banken in Bangkok übereinstimmend, zumindest am Anfang so etwas wie ein geheimes Einverständnis in der Szene gegeben.

Ein Broker aus Bangkok mit guten Kontakten zur Wall Street sagt, er habe unmittelbar vor der ersten Attacke Anrufe aus New York bekommen. US-Investmentbanken und führende Hedge-Fonds wollten die thailändische Währung angreifen. Schon bald könne es losgehen.

Und es ging mächtig los. Bereits seit dem 8. Mai hatte es kleinere Attacken gegeben, nach dem 13. Mai wuchs die Allianz der Spekulanten schlagartig. „Es war, als ließe jemand Blut in ein Haifischbecken strömen“, sagt ein Londoner Devisenhändler.

Bangkoks Polizeichef jagte seine Truppen in ausländische Brokerhäuser, die im Verdacht standen, mit Gerüchten die Spekulation anzuheizen. Finanzaufseher machten Druck auf Banken, die Hintermänner der größten Baht-Verkäufer herauszurücken. Als das nicht half, führte Notenbanker Rerngchai seine schwerste Waffe ins Feld: Am 15. Mai zwang er die Geldinstitute in Bangkok, keine thailändische Währung mehr an Ausländer auszugeben.
Die Order sorgte für Wut und Panik unter den Spekulanten. Angelockt von dem Verkaufssturm und der Aussicht auf schnellen Gewinn, hatten viele Zocker Baht gegen Dollar verkauft – ohne die thailändische Währung schon in den Händen zu halten.

Als sie wenige Tage später ihre Verpflichtungen aus den Tauschkontrakten erfüllen mußten, kamen sie plötzlich nicht an die Thai-Währung heran. Die Zinsen für den Baht schossen auf über 1000 Prozent, der Wechselkurs jagte in die Höhe, statt zu sinken – wer kurzfristig spekuliert hatte, verlor Millionen.
In den Trading-Floors der Banken in Singapur schrien Chefs ihre Geldmanager an, die sich leichtfertig in den Baht-Handel gestürzt hatten. Der von dem Großspekulanten George Soros an die Front geschickte Stanley Druckenmiller fluchte: „Sie treten uns in den Hintern.“

Einige besonders clevere Spekulanten begannen, ihre Genossen auszunehmen. Weil sie sich rechtzeitig mit genügend Baht eingedeckt hatten, liehen sie Millionen der knappen Währung an in Not geratene Zocker – und verdienten an den Zinsen.

In den nächsten Wochen versuchten Spekulanten, auf allen erdenklichen Wegen die Blockade zu umgehen. Der thailändische Zoll griff Geldboten auf, die Landeswährung kofferweise ins Ausland schmuggeln wollten. Einige Unternehmen ließen sich auf Scheingeschäfte ein und zahlten Baht auf fingierte Rechnungen.

US-Investmentbanken wollten es besonders trickreich anstellen und begannen, Geld durch die Börse zu schleusen. Der Plan nutzte eine Lücke in Rerngchais Verteidigung: Wer in Bangkok thailändische Aktien kaufte, konnte sie in Dollar bezahlen. Verkaufte er die Aktien wieder, konnte er sich den Erlös in Baht auszahlen lassen – die Börse als Wechselstube.

Am 10. Juni war Bangkoks Börsenhandel auf das Dreifache der normalen Menge angeschwollen. Broker hatten Aufträge von Ausländern, Aktien zu kaufen und gleich wieder zu verkaufen. Millionen Dollar wurden so in Baht getauscht. Wenig später stopften die Zentralbankiers auch dieses Schlupfloch.
Nach außen sah es so aus, als behielte Rerngchai die Oberhand, doch der Bankier wußte, daß seine Tage gezählt waren. Der Krieg hatte nämlich längst auch die Bevölkerung in Thailand nervös gemacht – eine Massenflucht aus dem Baht begann. Niemand konnte den Ausverkauf der eigenen Währung jetzt noch stoppen.

Banken, Firmen und Privatleute versuchten, ihre Vermögen in Dollar oder Yen zu retten. Die Zentralbank verlor bis zu einer halben Milliarde Dollar am Tag. Ende Juni waren die Reserven fast aufgebraucht.

„Wir werden niemals unsere Währung abwerten“, rief noch am letzten Juni-Wochenende ein trotziger Thai-Premier Chavalit Yongchaiyudh; wenige Tage später, am 2. Juli, mußte Notenbankchef Rerngchai den Wechselkurs freigeben.
Vielen Thais gilt ihre Zentralbank nun als Versager, deren Devisenhändler als Verbrecher. „Wir sollten sie umbringen“, schimpft der Chefredakteur des Blattes „The Nation“, „niemals hätten sie das Geld verpulvern dürfen.“
Rerngchai mußte schon bald nach der Baht-Freigabe seinen Posten räumen. „Es war ein Unglück für das Land, daß Rerngchai Gouverneur war“, hielt die Untersuchungskommission fest. Der Entlassene nutzt seine Zeit für buddhistische Studien und um seine Tochter in Australien zu besuchen.
Ungern erinnert er sich an jenen Abend, als alles begann. „Diese Attacke war unfair“, sagt Rerngchai bitter und blickt von seiner Terrasse auf den Fluß, wo am anderen Ufer die Silhouette der Bank von Thailand aus dem Dunst ragt: „Sie waren einfach zu stark für uns.“

Mathias Müller von Blumencron, Wieland Wagner (Der Spiegel)

 

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