Strandsäuberung als verdeckter Schlag gegen die Mafia

PHUKET: Seit Monaten steht an den meisten Stränden Phukets sprichwörtlich kein Stein mehr auf dem anderen. Seit die Militärregierung die Säuberung von illegalen Bauten, nicht autorisierten Händlern und sogar von Liegestühlen und Sonnenschirmen angeordnet hat, geriet die heile Welt vergangener Jahre ins Wanken. Begeisterung und Kritik prallen aufeinander und nicht minder die Interessen der Militärregierung und der einstigen Geschäftemacher an Phukets teuren Sandstränden.

In thailändischen Medien sorgen die brachialen Bagger-Einsätze seit Monaten für Schlagzeilen. Auch in der Schweiz und in Deutschland steigen große Zeitungen und Illustrierte in das Thema ein – wie jüngst das Hamburger Nachrichtenblatt DER SPIEGEL. In der aktuellen Ausgabe ziehen die Autoren Bilanz: ‚Bagger gegen Liegestühle‘ heißt der Titel, und es wird nicht unkritisch reflektiert, dass Phukets Strände mit der zuletzt erfolgten Abrissaktion am Surin Beach frei sind von wilden Bauten und wildernden Händlern.

Nicht jedem gefällt das, vor allem nicht denjenigen, die sich jahrzehntelang mit lukrativen, aber illegalen Mieteinnahmen die Taschen vollstopften. Im Grunde wusste auf Thailands größter Ferieninsel jeder, dass sich mafiöse Familienclans mit Hilfe der Verwaltungen und Politik die Filetstücke am Strand einverleibten und mit horrenden Wuchermieten die Milliarden in ihren Taschen mehrten – und damit ihre Macht.

Als im Juni 2014 der Polizeichef der südthailändischen Region 8, Generalmajor Panya Mamen, der Taxi- und Tuk-Tuk-Mafia auf Phuket den Krieg erklärte, hielten sich viele der Protagonisten und ihre Helfershelfer für unangreifbar. Das änderte sich, als eine von Polizei und Militär koordinierte Aktion am 26. Juni einige Hundert der Übeltäter hinter Schloss und Riegel brachte. Von diesem Tag an fing alles an anders zu sein. Die Polizeikräfte vor Ort wurden von Bangkok und Surat Thani aus angewiesen, erbarmungslos gegen Taxiunternehmer vorzugehen, die ihre Kunden beim Fahrpreis übervorteilten und bei Protesten misshandelten.

Was hat das Problem der Taximafia auf Phuket mit den Strandsäuberungen zu tun? – Sehr viel, denn damals verriet der Polizeibeauftragte Mamen im internen Kreis, dass an einer langfristigen Strategie gearbeitet werde, um den Mafiasumpf trocken zu legen. Mamen’s Familie wurde bedroht, ungeachtet der Tatsache, dass er Südthailands einflussreichster Polizeioffizier war. Panya Mamen wusste um die Ernsthaftigkeit solcher Drohungen und ließ sich versetzen. Selbst Polizeigeneräle sind im eigenen Land nicht sicher, wenn sich lokale Mafia-Potentaten gegen sie verschwören.

Kennern der Situation auf Phuket dämmerte schon damals, dass sich die Polizeispitze Thailands und die Militärregierung durch solche Gebärden nicht einschüchtern lassen werden. Schnell reifte dort die Erkenntnis, dass einzelne, abkommandierte Antimafia-Kämpfer einem zu hohen Risiko ausgesetzt sein könnten. Die einzige Chance sahen die Väter der heutigen Räumungsaktionen in einer nachhaltigen Trockenlegung der Finanzströme.

Keine Mieteinnahmen durch Taxifahrer, kein Geld mehr von Strandbarbetreibern und Liegestuhl-Kleinunternehmern, keinen Baht mehr von den armen Teufeln, die am Strand Früchte und Eiscreme feilboten und manchmal von korrupten Aufsehern um ihre ganzen Tageseinnahmen erleichtert wurden. In der Nachhaltigkeit liege der Erfolg – wenn nötig auch auf Kosten der Touristen, lautete die unausgesprochene Devise.

Die nachfolgende Kritik internationaler Medien, unterstützt durch authentische Berichte europäischer Touristen, denen an den Stränden von Phuket Sonnenschirme und Liegestühle faktisch unter dem Allerwertesten weggezogen worden waren, verstummte nicht mehr. Für viele Urlauber, in erster Linie Familien mit Kindern, schien das unbarmherzige Vorgehen thailändischer Staatsträger in eine touristenfeindliche Agitation auszuarten. In Internetforen und sozialen Netzwerken schworen nicht wenige erzürnt ihrem Lieblingsurlaubsziel ab: „Nie wieder Phuket, nie wieder Thailand!“

Das änderte nichts an der Strategie: Dass die Säuberungen der Strände auf Phuket trotz des internationalen Gegenwindes nur ein Anfang waren, wird immer deutlicher. Längst stehen weitere Destinationen wie Koh Samui, Khao Lak und Pattaya im Visier der Armeeregierung. Die Unruhe steigt. Wer könnte als nächstes dran sein? Wen wird es erwischen? Alle Hotels und Restaurants an Stränden oder nur die vielen illegalen Beton- und Bretterbuden, die sich metastasenhaft in den Sand gegraben haben? Thailands Armeeführung und der Nationale Rat für Frieden und Ordnung (NCPO) ließen unüberhörbar anklingen, dass Phuket ein Anfang war und nicht das Ende.

Die Reaktionen werden noch kontroverser und wütender werden. Richtig oder falsch, angemessen oder touristenfeindlich – eine objektive Antwort ist unmöglich. Natürlich war es bequem, sein Bier am Strand zu trinken, sich in einen der tausenden von Liegestühlen zu fläzen, den Schirm auf, den Cocktail und die frischen Früchte vom ‚Strandbutler‘ angeliefert. Wenige kratzte die Realität: „Ich habe nur Urlaub und da möchte ich es so bequem wie möglich haben.“

Dass so viel mehr dahinter steckt, dass sich die Hydra der Inselmafia mit unstillbarer Gier nährte, ihre Günstlinge protegierte und andere von der Lebensader abtrennte – nach Gutdünken und in Cosa Nostra-Manier, wer traute sich das laut zu denken? Es war ein geduldetes Spiel, bei dem viel Geld unter dem Tisch floss. Kritik konnte tödlich sein. Diejenigen, die auf Phuket Gesetze durchsetzen sollten und die Sicherheit gewährleisten, saßen selbst an den Futternäpfen…

Die nahe Zukunft wird zeigen, wie sich Thailands Tourismusverbände mit den zu erwartenden Folgen weiterer Räumungen auseinandersetzen. Wenn Phuket erst der Anfang war und Koh Samui und weitere Destinationen folgen, dann gerät Thailands wichtigster Devisenbringer in Seenot. Wieder werden die Touristen nicht verstehen, weshalb man ihre Idylle mit Baggern bekämpft. Und wieder werden treue Feriengäste ihre Koffer packen und drohen, nicht wieder zu kommen.

Es mutet an wie ein Teufelskreis, in den sich die Armee mit ihrer harten Gangart katapultiert hat. Wird der Preis zu teuer? Wer wagt das heute zu beurteilen? Es geht nicht allein um Feriengäste aus aller Welt, es geht um Thailands Zukunft.

Sam Gruber (Der Farang)

Die digitale Kluft in Thailand

Laut einer Studie des Asean-Verbandes ist Thailand (hinter Singapur und Malaysia) industriell am stärksten entwickelt.

Dazu trägt neben der Auto- auch die Agroindustrie bei, die bezüglich Verwertung und Veredelung landwirtschaftlicher Erzeugnisse in Asien führend ist und einen Umsatz von rund 25 Mrd. $ generiert.

Doch die Herausforderungen sind bekannt: Das Königreich muss seine Grundlagen weiter verbessern, um am industriellen Aufschwung Asiens teilzuhaben und in den Rang einer wissensbasierten Volkswirtschaft aufzusteigen. In diesem Zusammenhang ist jüngst eine Studie der Asiatischen Entwicklungsbank veröffentlicht worden. In einer entsprechenden Rangliste ist Thailand hinter China, Malaysia, Indonesien und Indien klassiert.

Defizite im Bildungssystem, die in dem UNDP-Human-Development-Bericht alarmierend als Anlass zur Besorgnis umschrieben werden, tragen dazu bei, dass Thailand trotz ansprechender wirtschaftlicher Entwicklung beim Human-Development-Index (HDI) nur den 103. Platz (von 186 Nationen) belegt. Der IT-Sektor ist unterentwickelt, und aufgrund des gesellschaftlichen Gefälles und der damit zusammenhängenden ungleichen Bildungschancen droht die «digitale Kluft».

Der Begriff digitale Kluft taucht seit Mitte der 1990er Jahre in der öffentlichen Diskussion auf. Der Begriff steht für die These beziehungsweise Befürchtung, dass die Chancen auf einen Zugang zum Internet und die anderen Informations- und Kommunikationstechniken ungleich verteilt und stark von sozialen Faktoren abhängig sind und dass diese Chancenunterschiede ihrerseits gesellschaftliche Auswirkungen haben. Mit anderen Worten: Wer Zugang zu modernen Kommunikationstechniken hat, hat bessere soziale und wirtschaftliche Entwicklungschancen.

Thailand gehört damit zu jenen Ländern, die durch die Middle-Income-Falle bedroht sind. Sie betrifft jene Schwellenländer, deren Produktivitätsfortschritte mit der Lohnentwicklung nicht mithalten und die damit für Investoren unattraktiv werden…

Damit diese Kluft verhindert werden kann braucht es dringend Investitionen in das marode Bildungssystem.

Mit dem Putsch vom Mai 2014 ist in Thailand politisch wieder Ruhe eingekehrt. Stabilität herrscht deswegen aber noch nicht.

Die Machtergreifung der Generäle zeigt eher, dass Thailand auch für Investoren weniger berechenbar ist, als es bisher den Anschein machte. Das Eingreifen starker Hände wird in in- und ausländischen Industriekreisen zwar durchaus wohlwollend kommentiert aber der Übergang zu einem demokratischeren Regime steht genauso wenig fest wie der wirtschaftspolitische Kurs der neuen Regierung unter Ministerpräsident Prayuth Chan-ocha.

Ich bin auf jeden Fall gespannt, wie sich das Land weiter entwickelt…

Liebe auf Thai

Die Liebe ist ein Thema, über das wohl schon mehr geschrieben worden ist als über irgendetwas anderes, was die Menschen bewegt. Auch über Thai-Farang-Liebesbeziehungen gibt es eine Menge bedrucktes Papier und noch mehr im Internet zu lesen. Dabei wird aber meist über negative Erfahrungen berichtet, die Farang in solch einer Beziehung hatten. Ich will nun hier einmal versuchen, die Hauptursache für solch negative Erfahrungen zu analysieren. Ein wesentlicher Grund für diese Probleme ist die unterschiedliche Auffassung von dem, was man unter Liebe versteht.

Die Schwierigkeiten ergeben sich vor allem daher, dass jeder Mensch entsprechend seiner Mentalität, aber auch abhängig von den Lebensumständen und dem Kulturkreis, in dem er groß geworden ist, die Sache anders sieht. Das fällt besonders ins Gewicht, wenn die Partner aus solch unterschiedlichen Milieus stammen wie ein Farang und eine Thai-Frau.

Wohl jeder Mann, der mit einer Thai-Frau zusammenlebt, wird schon manchmal den Eindruck einer gewissen Gefühlskälte bei seiner Frau gehabt und sich die Frage gestellt haben „liebt sie mich eigentlich überhaupt wirklich?“ Hierzu ist zu sagen, dass Thais wesentlich mehr Scheu haben, das, was wir als Zeichen liebevoller Zuneigung ansehen, also etwa Umarmung, Küsschen usw. zu zeigen. Vor allem in Gegenwart anderer Leute wird die Frau – auch wenn sie verheiratet ist – Hemmungen haben, ihrem Mann eine liebevolle Geste zukommen zu lassen. Thais haben auch wenig Sinn für Geschenke, die liebevolle Aufmerksamkeit ausdrücken sollen, wie z.B. einen schönen Blumenstrauß. Für sie zählt nur der Materialwert, bzw. das Goldgewicht. All das bringt den Farang dann auf den Gedanken, dass nur rationale Überlegungen die Frau bewogen haben, mit ihm zusammen zu leben, womit er in der Regel gar nicht so falsch liegt.

Auch wenn es das eigene Ego nicht zulässt, es sich selbst zuzugestehen, man kann immer davon ausgehen, dass sich eine Thai-Frau den Mann nicht nach seiner Schönheit, oder gar seiner sexuellen Potenz aussucht, sondern vor allem danach, wie sie seine finanzielle Leistungsfähigkeit einschätzt. Dass sie sich dabei manchmal vertut und nicht beurteilen kann, dass hinter einem Typ, der sich hier im Urlaub wie ein Millionär aufführt, in Wahrheit ein armer Hund steckt, ist dann ein wesentlicher Grund dafür, dass die Verbindung über kurz oder lang in die Brüche geht.

Es ist sicher so, dass jede Thai, die sich an einen Farang bindet, das mit der Hoffnung tut, ein besseres Leben zu haben. Viele sind aber auch von den Thai-Männern so enttäuscht, dass sie es mit einem Farang versuchen, in der Hoffnung, bei ihm weniger machohafte Allüren ertragen zu müssen.

Die meisten dieser Frauen wollen einfach ein ruhiges, normales Leben führen und träumen in ihrer Naivität von dem guten Farang, der sie und ihre Familie versorgt. Solch eine Ehe, auch wenn man dafür mit einem ungeliebten Mann die Familie verlassen muss, ist immer noch besser, als auf einem Dorf im Isaan zu vergammeln, wo es zum Leben vorne und hinten nicht ausreicht. Europa gilt als Traumland, wo man Geld verdienen kann, und ein europäischer Ehemann kann ein Thai-Mädchen vom Land zur Prinzessin machen, wenn er sie aus ihrer ärmlichen Umgebung in eine Dreizimmerwohnung nach Deutschland verpflanzt.

Doch selbst mit einem netten Mann lassen sich die fremde Umgebung, das ungewohnte Klima und Essen, die fehlenden Freunde und die Einsamkeit einer Neubauwohnung, während der Mann den ganzen Tag berufstätig ist, nur schwer ertragen. Frauen, die in ihrem gewohnten Milieu durchaus lebenstüchtig und selbständig handeln, sind hier in unserer hochgezüchteten westlichen Welt erst einmal ziemlich hilflos. Sie kommen in ein total fremdes Land und unter fremde Menschen, deren Benehmen aus ihrer Sicht ungewöhnlich, wenn nicht unverständlich ist. Die Farang benutzen statt Wasser Toilettenpapier, gehen ohne Ziel spazieren, bringen Blumen mit, wenn sie jemanden besuchen und essen mit Messer und Gabel, statt mit Löffel und Gabel.

Vor allem aber haben diese Frauen ein Problem damit, das typisch deutsche Fühlen und Denken zu verstehen. Sie können ihre angeborene oder anerzogene Thai-Denkweise eben nicht so ohne weiteres ablegen. Die kulturellen Unterschiede zwischen Farang und Thais sind so groß, dass Liebe nicht ausreicht, um diesen Abgrund auf Dauer zu überbrücken. Dazu gehört u.a. auch Verständnis dafür, dass der Partner ganz andere Denkschemata und Wertvorstellungen hat. Mit jeder Partnerin holt der Mensch sich auch unabdinglich deren Schicksal, Gefühle und vergangene Traumata mit ins Haus und wird dann unweigerlich irgendwann mal damit konfrontiert. Liebe und auch sexuelle Anziehung stumpfen über kurz oder lang ab, und wenn dann nichts anderes da ist, vor allem gegenseitiges Vertrauen und das Gefühl, zusammen zu gehören, dann ist das Dilemma vorprogrammiert.

Gefühle sind eine schöne Sache, aber ein Westler versteht darunter etwas völlig anderes als eine Thai. Bei jener sind sie – wiewohl es nie offensiv vorgetragen wird – ziemlich fest an materielle Begleiterscheinungen gebunden. Und spätestens nach dieser Entdeckung wird der kopflose Farang wieder nüchtern.

Was in den Foren manchmal über die geldgierigen Thai- Frauen gesagt wird, mag in vielen Fällen zutreffen. Thais haben nun mal ein anderes Verhältnis zum Geld als wir Farang. Geld ist dazu da, dass es für Dinge, die Sanuk bringen, ausgegeben wird, und es wäre naiv zu glauben, dass die Thai-Frau, nur weil sie einen Farang geheiratet hat, nun auch wie dieser daran denkt, sein Geld zusammenzuhalten. Es ist dann Sache des Mannes, die Sache zu steuern, und wenn es aus dem Ruder läuft (z.B. durch die thai-übliche Spielsucht), dem einen Riegel vorzuschieben.

Schwer verständlich ist für den Farang auch das Bestreben seiner Frau, ihren Angehörigen im fernen Thailand laufend Geld zukommen zu lassen. Elternhaus, Schule und Buddhas Lehren haben dem Mädchen von klein auf eingetrichtert, dass es für ihre Eltern und Geschwister zu sorgen hat. Diese moralische Verpflichtung hat der Mann zusammen mit ihr übernommen. Wenn wir Farang alt werden, bekommen wir unsere Rente. Und wenn jemand gar nichts mehr hat, hilft ihm das Sozialamt. Thais hingegen kennen keine Altersversicherung, der Nachwuchs muss die „Rente” für die Alten aufbringen. Die Familie übernimmt sozusagen den Teil, den bei uns die Versicherungen übernehmen. Wer in so eine Familie einheiratet, wird automatisch zum Teil dieses Systems. Wer die Zahlung verweigert und damit seine Frau zwingt, aus diesem „Sozialsystem” auszusteigen, ohne ihrer Familie das zurück zu zahlen, was sie ihr schuldet, dürfte heftige Schuldgefühle in ihr auslösen, sie in einen dauernden, nagenden Gewissenskonflikt bringen und damit den baldigen Bruch der Beziehung riskieren.

Die Bindung an ihre Familie hat für seine Frau einen höheren Stellenwert als die Liebe zu ihrem Mann. Ob ihm das nun schmeckt oder nicht, ist völlig ohne Bedeutung. Es ist sinnlos zu behaupten, dass er nur seine Frau und nicht etwa ihre ganze Sippe geheiratet hat. Wenn er versucht, ihr das klar zu machen, lässt es ihn in ihren Augen verständnis- und lieblos erscheinen. Ihre Reaktion wird dann oft sein, dass sie einfach den Vorhang runterlässt und den Mund nicht mehr aufmacht. Das geschieht nicht selten auch bei einem missbilligenden Wort oder einer Geste, durch die sie sich beleidigt fühlt. Der Mann hat es schwer, mit dem starren Schweigen zurechtzukommen, das bei einer Thai-Frau oft die Stelle des hitzigen Arguments einnimmt. Er sollte aber nicht versuchen, mit bohrenden Fragen herauszufinden, was der Anlass für ihre Sturheit ist, oder sie mit Vorwürfen deswegen überhäufen. Nach einiger Zeit wird ihr das selbst zu langweilig, und sie wird den Mund wieder aufmachen, so als ob gar nichts gewesen wäre.

Es mag Fälle geben, wo Machotypen ihre Thai-Frau soweit gezähmt haben, dass sie sich (zumindest augenscheinlich) unterordnet. Der häufigere Fall ist aber, dass die Frau auch in Deutschland versucht, das ihr von zu Hause gewohnte Schema durchzusetzen, nämlich dass in den Familien allgemein die Frauen das Zepter in der Hand oder zumindest das letzte Wort haben. Jeder, der in Deutschland im Thai-Milieu verkehrt, kennt einige Fälle, wo die Männer sich von ihrer Thai-Frau an der Nase herumführen lassen wie Tanzbären. Es ist nun mal ein Fakt, dass charakterlich wenig gefestigte Typen häufig dazu neigen, sich ein, wie man allgemein glaubt, gefügiges asiatisches Hauskätzchen zuzulegen und dann der geballten Energie der Frau wenig entgegenzusetzen haben.

Günther Ruffert

Thailands Agrarpolitik: Verdorbener Reis, Schulden und fehlgeleitete Bauern

In Thailand hat die Regierung mit festen Abnahmepreisen für Reis Schiffbruch erlitten. Die marktfremde Politik begünstigt Grossbauern, sie schafft Fehlanreize und hat den Staatshaushalt in Schieflage gebracht.

Wie tief der Wurm in Thailands Landwirtschaftspolitik steckt, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass selbst jene, die davon profitieren sollten, auf die Barrikaden steigen. Seit Wochen blockieren wütende Reisbauern Strassen des Königreichs, um auf die ausgebliebenen Subventionszahlungen aufmerksam zu machen. Kommen die Bauern nicht bald zu ihrem Geld, wollen sie sich der Protestbewegung in der Hauptstadt anschliessen, die Thailands Ministerpräsidentin Yingluck Shinawatra lieber heute als morgen stürzen möchte. Anfang Februar fuhren aufgebrachte Bauern, die zum Teil seit vier Monaten auf die ihnen zustehenden Zahlungen warten, mit Traktoren und Lastwagen vor dem Handelsministerium in Bangkok vor.

Von Wettbewerbern verdrängt

Die verzögerten Zahlungen sind aus ökonomischer Sicht noch das geringste Problem einer Agrarpolitik, die darauf abzielte, den Lebensstandard der thailändischen Reisbauern zu heben. Sie garantierte einen fixen Abnahmepreis für ungeschälten Reis von 18 000 Baht (548 $) pro Tonne und übertraf damit Weltmarktpreise um bis zu 50%. Die Regierung begründete das 2011 lancierte Programm im Weiteren mit der Ernährungssicherheit, die durch die produktgebundenen Subventionen gestärkt werde. Thailand könne als «Reis-Grossmacht» höhere Preise durchsetzen, wurde behauptet. Die Architekten dieser irregeleiteten Landwirtschaftspolitik liebäugelten zudem mit einem Kartell der Exporteure und glaubten, sie könnten mit einer vorübergehenden Verknappung des Angebots die Preise in die Höhe treiben.

Eingetreten ist in vieler Hinsicht das pure Gegenteil: 2012 brachen die Exporte um mehr als einen Drittel ein, und Thailand verlor seine Position als weltweit führender Reisexporteur. Bangkok wurde von Vietnam und von Indien überholt, auch weil Delhi sein Ausfuhrverbot für Reis aufgehoben hatte. Nach Jahrzehnten der Selbstisolation versucht sich Burma neuerdings wieder als bedeutender Exporteur zu positionieren. Die Philippinen sodann erhöhten ihre Eigenproduktion.

Während die thailändischen Reisbauern, eine wichtige Klientele der Regierungspartei Pheu Thai, ihre Produktion erhöhten, um mehr Einkommen zu generieren, wuchsen die Lagerbestände rapide an; in den Silos des Landes lagern derzeit rund 20 Mio. t Reis, was mehr als der Hälfte des weltweiten Handelsvolumens für Reis entspricht. Da der Staat Reis ohne Mengenbeschränkungen aufkaufte, verführte er die Bauern zum exzessiven Anbau jenseits der Bedürfnisse des Marktes.

Vernichtende Kritik

Im Gegensatz zu den Versprechungen der Politik hat sich das Los der einkommensschwachen Bauern aber nicht entscheidend verbessert. Laut einer Studie der Weltbank gehören lediglich 18% der ärmeren Bauern zu den Nutzniessern der subventionierten Preise, da in ihren Betrieben nach dem Eigenkonsum nur wenig Überschüsse resultieren. Vom System profitieren primär wohlhabende Grossbauern, die über moderne Bewässerungsanlagen verfügen und dadurch häufiger ernten können, sowie die Betreiber von Getreidemühlen.

Je länger diese Agrar-Subventionitis andauert, desto stärker drohen die Kosten aus dem Ruder zu laufen. Im Erntejahr 2011/12 wies die Regierung einen Verlust von 4,3 Mrd. $ aus, was manche Beobachter als kräftige Untertreibung bezeichnen. Das 2011 gestartete Programm soll die Steuerzahler bis anhin rund 20 Mrd. $ gekostet haben. In seinem jüngsten Länderexamen stellte der Internationale Währungsfonds (IMF) fest, das Vertrauen in Thailands öffentliche Finanzen sei angesichts der unklaren Angaben zum Finanzrahmen der Ankäufe erodiert. Vor dem Hintergrund der steigenden Verschuldung des Schwellenlandes warnte ferner die Rating-Agentur Moody’s, das Programm stelle eine Gefahr für die Fiskaldisziplin dar. Betrug Thailands Verschuldung 2010 lediglich 41,7% des Bruttoinlandprodukts (BIP), ist die Quote inzwischen auf 45,5% (September 2013) gestiegen. Subventioniert wird überdies der Anbau von Mais und Gummi.

Ausser der öffentlichen Verschuldung hat bemerkenswerterweise auch jene der Bauernschaft selbst zugenommen – und zwar nicht erst seitdem die Zahlungen der Regierung ausgeblieben sind. Einige Reisbauern dürften Investitionen in modernes Gerät getätigt haben, um die Produktionsmengen zu erhöhen. In einem aufschlussreichen Aufsatz schreiben Jan Seidel und Rainer Adam von der Friedrich-Naumann-Stiftung, die volkswirtschaftlichen Verluste stünden in keinem Verhältnis zum angeblichen Nutzen, weil die Regierung den Reismarkt monopolisiere und alle Glieder der Wertschöpfungskette kontrolliere und steuern wolle.

Das Aufkaufprogramm bindet in der Einschätzung von Seidel und Adam öffentliche Mittel, die besser in den Ausbau der Infrastruktur, die landwirtschaftliche Forschung oder in eine Ernte-Versicherung gesteckt würden. Damit könnten Einkommenssteigerungen für die Bauern effektiver und nachhaltiger erreicht werden.

China steigt aus

Der IMF seinerseits legte der thailändischen Regierung ans Herz, das Programm aufzugeben und einkommensschwache Haushalte mit gezielten Transferzahlungen zu unterstützen. Unter Beobachtung steht Thailand auch vonseiten der Welthandelsorganisation (WTO): Die Vereinigten Staaten, die Europäische Union, Australien und Kanada wollen geklärt haben, ob Bangkok mit seinen Subventionen nicht gegen WTO-Recht verstösst.

Das jetzige System, das Reishändler und weitere Akteure zu Abhängigen der Bürokratie macht, öffnet zudem ein weites Feld für Korruption und intransparente Geschäfte. So wurden laut thailändischen Presseberichten mehrfach Personen mit politischen Verbindungen begünstigt, oder es wurde Reis aus den Nachbarländern nach Thailand geschmuggelt und zu den marktfremden Preisen an die Regierung veräussert.

Ins Visier der Anti-Korruptions-Kommission geriet neben einem ehemaligen Handelsminister die Regierungschefin Yingluck Shinawatra, die als Vorsitzende des sogenannten Reis-Komitees ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt haben soll. Führt das zweifellos auch politisch motivierte Verfahren zu einem Schuldspruch, droht der Schwester des 2006 gestürzten Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra ein Impeachment. Die Berichte über Misswirtschaft im Zusammenhang mit dem Reishandel brachten China Anfang Februar dazu, eine Bestellung von 1,2 Mio. t – rund 14% von Thailands Jahresexporten – zu annullieren. Peking fehle derzeit das Vertrauen, mit Thailand ein solches Geschäft zu tätigen, gestand Handelsminister Niwatthamrong Bunsongphaisan ein. Dies bedeutete einen weiteren Rückschlag für Bangkok, hatte man doch darauf gehofft, mit sogenannten Government-to-Government-Deals die überfüllten Reis-Silos leeren zu können. Im vergangenen Jahr hatte sich bereits Indonesien alternativen Beschaffungsquellen zugewandt. Und neue Abnehmer wie der Irak und Benin füllen die entstandenen Lücken nicht aus.

Gefangen im Populismus

Da Yingluck seit Dezember 2013 lediglich einem Übergangskabinett vorsteht und wegen der politischen Verwerfungen im Königreich nicht absehbar ist, wann eine neue Regierung gebildet werden kann, sind rasche Entscheide schwierig. Für den Abschluss von Lieferabkommen mit weiteren Ländern braucht die Ministerpräsidentin die Zustimmung der ihr wenig freundlich gesinnten Wahlkommission.

Im Januar sickerte durch, dass thailändische Beamte offenbar versucht hatten, Reis 30% unter den Produktionskosten an die Philippinen zu verschachern. Dies geschah, nachdem der Taifun «Haiyan» im November viele Anbauflächen für Reis zerstört hatte. Trotz den offerierten Preisabschlägen gaben die Philippinen Vietnam, ihrem traditionellen Lieferanten, den Vorzug.

Derweil klagen mehr als eine Million thailändische Bauern über ausgebliebene Zahlungen der Regierung. Selbst staatliche Institute wie die Krung Thai Bank lehnten es ab, zusätzliche Mittel für das Programm zur Verfügung zu stellen. Eine vom Finanzministerium angesetzte Auktion für einen Sonderkredit wurde unlängst abgeblasen: Viele Banken sahen von einer Beteiligung ab, weil sie daran zweifelten, dass die Übergangsregierung dazu berechtigt ist. Bereits im vergangenen Jahr brauchte die staatliche Bank for Agriculture and Agricultural Cooperatives, die den Ankauf von Reis finanzieren soll, eine Geldspritze. Schon damals harzte es mit dem Absatz der Reisvorräte.

Yingluck macht für den jüngsten Schlamassel die Protestbewegung des ehemaligen Vizeministerpräsidenten Suthep Thaugsuban verantwortlich. Seit vergangenem November wird die Arbeit der Verwaltung durch Sabotageaktionen beeinträchtigt. Von Regierungsseite wurde zudem versucht, die Kalamitäten mit währungspolitischen Entwicklungen zu erklären.

Obwohl auch die überzeugtesten Anhänger dieser populistischen Agrarpolitik erkennen müssen, dass sie auf lange Frist kaum durchzuhalten ist, sind selbst marginale Anpassungen nur schwer durchzusetzen. Als die Regierung eine Reduktion des Abnahmepreises um 1500 B (46 $) erwog, drohten die Bauern sofort mit Protesten. Die Vorgängerregierung glich jeweils die Differenz zwischen einem Mindestpreis und dem Marktpreis aus – eine Art Interventionismus, der den öffentlichen Haushalt weit weniger belastete.

Ein Käufermarkt

Das von Yingluck initiierte Stützungsprogramm für die Reisbauern läuft Ende Februar 2014 formell aus. Das gegenwärtige Übergangskabinett ist nach Angaben des Handelsministeriums nicht ermächtigt, eine Verlängerung der Subventionen zu genehmigen. Zumindest vorübergehend muss sich der Agrarsektor daher dem freien Markt fügen. Für 2014 haben die thailändischen Reisexporteure einen Zuwachs der Ausfuhren von 14% veranschlagt. Allerdings werde man den Verkaufspreis bis auf 370 $ pro Tonne senken müssen. Dass die thailändische Regierung in der Bredouille steckt und angesichts der beschränkten Lagerfähigkeit und von Liquiditätsproblemen den Ankauf von Reis zu verringern sucht, haben auch potenzielle Abnehmer begriffen.

Wenig produktive Landwirtschaft

Thailands ländliche Regionen haben einen enormen Entwicklungssprung hinter sich: Lebten vor einem halben Jahrhundert noch 96% der Landbevölkerung unter der Armutsgrenze, beträgt dieser Anteil nunmehr 12%. Bauern, die einst in der Subsistenzlandwirtschaft ein hartes Leben gefristet hatten, erzielen inzwischen Überschüsse. Sie haben sich alternative Einnahmequellen erschlossen mit dem Resultat, dass lediglich jeder fünfte Bauernbetrieb sein Einkommen ausschliesslich im Agrarsektor erwirtschaftet.

Im Unterschied zu anderen Wirtschaftssektoren vermochte die Landwirtschaft, die 42% von Thailands Arbeitskräften beschäftigt, indes die Produktivität nur geringfügig zu steigern. Ein Industriearbeiter trägt achtmal mehr zum Bruttoinlandprodukt (BIP) bei als sein Kollege im Agrarsektor. Besonders ausgeprägt ist das Malaise im Reisanbau: Im Nachbarland Laos, dem Thailand sonst entwicklungsmässig um Welten voraus ist, erzielen die Reisbauern höhere Durchschnittserträge.

In ihrer Analyse der thailändischen Agrarpolitik monieren Jan Seidel und Rainer Adam von der Friedrich-Naumann-Stiftung, die Regierung suggeriere, dass die Einkommenslücke zwischen Bauern und Industriearbeitern mit Marktinterventionen geschlossen werden könne. Vernachlässigt werde hingegen die langfristig notwendige Transformation der Landwirtschaft zu einem produktiveren Wirtschaftszweig. Der Internationale Währungsfonds (IMF) verweist darauf, dass sich der Anteil der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung im vergangenen Jahrzehnt kaum verändert hat, was auf eine mangelnde Mobilität der Arbeitskräfte hindeutet.

Bereits während der Amtszeit von Thaksin Shinawatra (2001 bis 2006) waren Milliardenbeträge in die ärmeren ländlichen Regionen gepumpt worden. Dies geschah im keynesianisch geprägten Glauben, damit werde der Konsum angekurbelt und würden Multiplikator-Effekte für die Gesamtwirtschaft erzielt. Mit derselben Argumentation bahnte die Regierung grosse Infrastrukturprojekte an, sie gewährte günstige Kredite, und sie bot medizinische Behandlungen zum Fixpreis an.

Die populistische Wirtschaftspolitik («Thaksinomics») führte in Thailand zwar zu einer markanten Reduktion der absoluten Armutsquote. Nur minim verringerte sich hingegen das Einkommensgefälle. Yingluck kopierte zahlreiche Initiativen ihres 2006 vom Militär entmachteten Bruders und machte neben der populistischen Agrarpolitik Steuererleichterungen für Erstkäufer von Häusern und Autos zu Grundpfeilern ihrer (wankenden) Wirtschaftspolitik.

Marco Kauffmann Bossart, Bangkok für NZZ.CH

 

Die Erben der Sintflut

Auf der Insel Phuket, dem Mallorca Asiens, kämpfen die Hoteliers, Barbesitzer und Huren mit den Folgen der Schockwelle. Sie hat nicht nur Tod und Zerstörung gebracht, sondern auch Streit um den Neuanfang: Kommt jetzt der Abschied vom Billigtourismus? Erwin, der übrigens hervorragend kochen kann, Cordon bleu zum Beispiel, mit Käse und Rösti, der dicke Erwin, von Thailands Sonne gebräunt, Zigarren paffend, der eigentlich aus Triengen stammt, im Kanton Luzern – dieser gemütliche Mann sagt ungemütliche Dinge.

Sagt, dass die Flut, die Phuket heimsuchte, nicht nur schrecklich war, sondern auch ihr Gutes hatte. Dass sie einen Sinn hatte, weil sie die Insel von einem Fluch befreite – dem Fluch des Billigen.

Erwin sitzt auf seinem Balkon und preist die Aussicht. Der Balkon geht aufs Meer, nach Südwesten, und er gehört zu Erwins Hotel, und das steht am Kata Beach, einem von der Sonne ausgeleuchteten Strand. Der Himmel ist wolkenlos, wie aus einem Prospekt geschnitten. Eine Brise vom Meer streicht heran, mischt sich jedoch mit dem Geruch von kokelndem Holz, Bauschutt und von Verwesung. Neben seinem Hotel wird noch geräumt, ist noch Katastrophengebiet, die Arbeiter tragen Masken. Allein Erwins Hotel über dem Meer ist unversehrt, denn es verdankt seine Aussicht einem vorgelagerten Felsen, auf dem es thront, vielleicht sechs, sieben Meter hoch.
Und die tödlichen Wellen?

Ja, die. Schwappten unterm Balkon hindurch, Erwin nickt grimmig. Und die dritte Welle kam direkt bis an die Ecke, höher hätte es bitte nicht sein dürfen, Erwin springt auf, deutet. Genau hier, am Holzgeländer, stand er und sah mit seinen Gästen zu, wie die Monsterwellen die Bucht leer räumten. Erwin sah eine Frau, die am Balkon vorbeitrieb, ganz nah war sie plötzlich, rasch also ein Seil gegriffen, ihr zugeworfen, die Frau konnte sich festklammern, rausgezerrt aus der gurgelnden Brühe, Pflaster geholt, einen Cognac geholt, die Frau hörte aber nicht auf zu weinen. Also brachte Erwin einen zweiten Cognac, diesmal einen doppelten, und nahm das Seil und ging wieder auf den Balkon, die Katastrophe betrachten.

Erwin Schwerzmann, 62, Jahre alt, Koch und Hotelier, Wanderjahre in Südamerika, vor einem Jahr kam er hierher. Er brachte seine Ersparnisse mit, eine ramponierte Gitarre, ein Erbstück seiner Mutter, und vor allem seine Frau: Elisabeth, genannt Lissilein, 13 Jahre jünger als er, aber auf der rechten Schulter das gleiche Tattoo wie Erwin – einen Delphin, der durch einen verschwommenen Blumenring springt.

Doch eigentlich will er ja was anderes erzählen.
Hier, er legt die Dezember-Ausgabe der deutschsprachigen Zeitung von Phuket auf den Tisch, ein Blatt für Touristen und Eingewanderte. Er schlägt den Anzeigenteil auf, ein Who’s who der deutschsprachigen Kolonie.
„Dort“, sagt er, drückt den Finger auf die Annoncen, die für Fassbier und für „Futtern wie bei Muttern“ und Grünkohl-Spezialitäten werben, „gehen all die Touristen hin, die sich für wenig Geld voll fressen wollen.“
Tippt auf die „Grillhütte (deutsches Bier und Schnäpse)“ in Patong. „Auch so ein Laden, ist jetzt dicht.“
Oder der „Schweizer Biergarten“. Vom Meer verschluckt.
„Und hier“, er tippt aufs „Coconut“, „da sollte man lieber das Klo nicht benutzen.“ Erwin schüttelt sich. „Viele von diesen billigen Dinger sind jetzt weg, und das ist auch gut so.“ Er klappt die Zeitung zu. „Es ist Zeit für einen Neuanfang.“

Von Neuanfang wird derzeit viel geredet auf Phuket – und nicht nur geredet. In Patong, zu Deutsch: Bananenhain, der zweitgrößten Stadt auf der 543-Quadratkilometer-Insel, entlang der Thawiwong- und der Phra-Barami-Road röhren Bulldozer. Scharen von Bauarbeitern schleppen Steine, die Gesichter vermummt gegen den Staub und das Leichengift. Ein Marinehelikopter landet knatternd auf dem Hof der Kamala-Beach-Schule, Soldaten springen ab, laden Zementmischer aus, und zehn Minuten von hier, auf der Bangla-Road, wischen die Huren noch schnell ihre Bars aus, das „Pussy“, das „Josephine’s“, das „Dragon“.

Es stinkt in diesen Läden, stinkt nach Schlamm und feuchter Kellertreppe. Aber die Lichtreklamen blinken wieder, die Lautsprecher sind trocken, und in manchen Läden stehen wieder die fast nackten Mädchen auf den winzigen Stripteasebühnen und reiben tanzend ihre Unterkörper an den glänzenden Stangen – aber sie tanzen träge, denn sie tanzen vor gespenstisch leeren Barhockern. Die farangs, die Weißen, sind fast alle weg. Vorhin war ein verdruckster Australier da, jetzt zwei Tätowierte aus England, die aber nur vor sich hin glotzen, leben kann man davon nicht.

Dreieinhalb Millionen Urlauber pro Jahr wurden zuletzt gezählt, die Einheimischen kochten ihnen Curry mit Kokosmilch, massierten sie und waren von morgens bis abends freundlich.
Phuket wurde zur zweitreichsten Provinz Thailands, gleich nach Bangkok, Geld wurde mit allem gemacht, was gelangweilte Urlauber amüsierte: mit Elefantenreiten, Rafting, Cliff-Hanging, mit Fellatio, Tauchen, Transvestiten angucken, zu den Riffen tuckern und Walhaie streicheln. Zwei Drittel der Riffe um Phuket, sagen Meeresbiologen, seien inzwischen zerstört.
Das Tourismusministerium rechnet mit Verlusten im thailändischen Fremdenverkehr in Höhe von 579 Millionen Euro allein in den nächsten drei Monaten. Die Bilder der Killerwelle haben dem gestressten Westler das letzte Refugium geraubt, an dem er sich sicher wähnte: den Strand.
„Genau deshalb müssen wir die Welt von uns überzeugen“, sagt Erwin, „und zwar mit Klasse und Qualität.“ Er hat schon mal angefangen und einen Bautrupp ergattert, für den Anbau hinterm Hotel, zwei Doppel-, ein Einzelzimmer, eine Suite. Der Estrich ist trocken, die erste Mauer steht. „Der Mensch ist vergesslich, und wo auf der Welt gibt es so ein ideales Reiseland?“ In spätestens einem Jahr, schätzt er, floriert das Geschäft.

Wer Glück hat und Erfolg, sagen die Buddhisten, der hat es sich verdient in einem seiner vorherigen Leben. Diese Anschauung verträgt sich mit dem Turbokapitalismus, der Thailands Wirtschaft beeindruckende Wachstumsraten von mehr als fünf Prozent bescherte.

Wie Erwin, der kleine Hotelier vom Kata Beach, reden viele Tourismusmanager auf der Insel: Die Schockwelle kann genutzt werden, um die schlimmsten Auswüchse der Boomjahre zu beseitigen. Die Bierbuden und billigen Restaurants an den Stränden sollen nicht wieder aufgebaut werden, die illegalen Resorts geschlossen bleiben. Die Sprecherin der Tourism Authority of Thailand fordert, „das tragische Ereignis zu nutzen, um die Grundstücke an den Stränden neu zu ordnen und eine bessere Umwelt zu schaffen“.

Auf Phuket glaubten sich die Fremden sicher vor den Schrecken dieser Welt. Bis jetzt.

Hinter Phuket, dem Mallorca Asiens, liegen Jahre wilden, ungestörten Wachstums. Wann immer der Tourismus in Asien attackiert wurde – durch islamische Terroristen, durch Bomben auf Bali, durch die Vogelgrippe, durch Sars oder durch den Irak-Krieg -, die Urlauber strömten weiter nach Phuket, weil sie hier den Schrecken der Welt entkommen und sich amüsieren konnten.
Nun sind die Hoteliers der Insel damit beschäftigt, Tote und Vermisste zu zählen und die Schäden an ihren Gebäuden zu taxieren. Von den zehn Buchten, die an der Westküste liegen, der Geldküste, sind die Patong-Bucht und die Kamala-Bucht am schlimmsten betroffen.

In welchen Buchten Mr. Boonchai wie viele Grundstücke besitzt, weiß wahrscheinlich nur er. Aber Verluste, sagt er, habe er keine erlitten.
Mr. Boonchai ist ein kleiner Herr, schlank, Ende 50, teures Hemd, starres Gesicht. Weiße Lederschuhe. Er trinkt Eiswasser und antwortet einsilbig. In seinem Büro stehen ein Computer und zwei riesige Tresore, sonst nichts. Der Pate von Phuket, so nennen ihn manche.
Bitte keine Fotos, sagt Mr. Boonchai.
Mr. Boonchai, von den 33 500 Hotelzimmern auf Phuket sind 17 500 zerstört – wie kam es, dass Sie Glück hatten?
Das Meer ist immer gefährlich. Aber meine Hotels und Grundstücke und Häuser sind gut platziert. Das Meer konnte sie nicht erreichen.
Er trinkt einen Schluck Eiswasser.
Wohin soll sich Phuket entwickeln – jetzt nach der Flut?
Wir müssen schnell alle Schäden beseitigen. Trinkt Eiswasser.
Sind Sie unglücklich, Mr. Boonchai?
Er stutzt. Unglücklich?
Über die Entwicklung der vergangenen Jahre, die Ihre Heimat in einen Vergnügungspark verwandelt hat?
Er räuspert sich. „Es gab dazu nie eine Alternative. Und außerdem – wir Thailänder sind sehr anpassungsfähig. Schauen Sie, wir feiern Weihnachten, Neujahr, dann chinesisches Neujahr im Februar, dann Thai-Neujahr im April, dann Ostern, Halloween, die diversen chinesischen Feiertage, wir sind höflich und offen für alle Religionen und Kulturen – warum sollte man darüber unglücklich sein?“

Was halten Sie von den Überlegungen, jetzt den Billigtourismus zurückzudrängen?
„Interessant. Aber unrealistisch.“ Er trinkt sein Glas aus, stellt es ab. Die Eiswürfel klimpern.
Was gehört Ihnen alles, Mr. Boonchai?
Keine Antwort. Als ob diese Frage nie gestellt wurde.
Boonchai kann es sich leisten, Fragen zu überhören oder seine Besitztümer solange leer stehen zu lassen, bis er glaubt, den richtigen Pächter gefunden zu haben. So war es auch mit dem Hotel von Erwin und seiner Frau. Zehn Jahre stand es leer, Erwin entdeckte es auf einem Spaziergang; ein von wildem Bambus überwuchertes Ding, aber gepflegt und in Top-Lage, hoch über dem Meer. Um sich als Pächter zu empfehlen, brauchte Erwin viel Geduld und all seinen Charme. „Man kommt an Mr. Boonchai nur schwer heran, er ist einer der reichsten Männer auf der Insel“, sagt Erwin. „Wenn du mit ihm verhandelst, darfst du zum Beispiel keine Quittung verlangen, man gibt ihm einfach das Geld, er zählt nach, schiebt es in die Schublade, zack. Eine Verbeugung besiegelt alles.“
Das Wort Rücksicht könnte in der thailändischen Verfassung in einer Präambel stehen. Offen kritisiert zu werden, das Gesicht zu verlieren ist schrecklich. Einen anderen zu kritisieren ist genauso schrecklich. Also muss man jede direkte Konfrontation vermeiden, also besteht der soziale Umgang aus einer Vielzahl von Schlängelbewegungen, wie beim Tempeltanz. Das gilt für Lebende – und erst recht für die Toten.

Verstorbene muss man besonders rücksichtsvoll behandeln, man muss sich mit ihnen gut stellen, ihnen ein Tempelchen bauen, eine Art verziertes Vogelhäuschen, davor ein Schälchen Reis, ein Glas Wasser, ein paar Zigaretten, falls der Geist raucht. Sonst rächen sich die Wesen und kommen ins Haus und spuken. Sie müssen sich auf den Weg machen, ihre Seelen, die Geister, müssen wandern. Und darum muss sich jemand kümmern, jemand wie Samu Djamnung.
Kahl rasierter Schädel. Barfuß, orangefarbenes Gewand, rechts schulterfrei – so ist Samu Djamnung, 40 Jahre alt, der Ober-Mönch von Pak Lok. Man muss vor ihm knien, wenn er betet, und Frauen dürfen ihn keinesfalls berühren. Auch muss man höllisch aufpassen, dass während des Gesprächs die Fußspitzen nicht in seine Richtung weisen, denn Füße sind unrein.
Er schaut an einem vorbei.

Samu Djamnung sitzt auf einem Kissen vor seinem kleinen Tempel, es ist später Nachmittag, drei Kätzchen umschnurren ihn, um ihn herum liegen Dosen mit Whiskas-Katzenfutter, eine Flasche mit heiligem Wasser, ein schnarchender Köter, eine Vase mit Lotusblüten. Samu Djamnung gähnt. Der Tempel liegt im Inland, von der Flut haben Samu Djamnung und die anderen Mönche nichts mitgekriegt; aber die Tage danach waren hart.
Das Kloster Pak Lok liegt an der Landstraße 4027, eine weiträumige Anlage, überall Hunde, Katzen, Hühner. Zwölf Mönche leben hier, in den Tagen nach der Flutkatastrophe waren sie pausenlos unterwegs, um Leichen zu verbrennen, den Toten den zeremoniellen Dienst zu erweisen. Samu Djamnung, der Obermönch, blieb meistens im Kloster und hielt die Stellung; nur im Notfall fuhr er raus. Wie zum Beispiel vorgestern.Am Stadtrand von Patong, an der Ausfallstraße zu Erwin Schwerzmanns Bucht, fanden Arbeiter drei Leichen, verschüttet unter Dachziegeln und den Trümmern einer Wand. Die Körper waren aufgedunsen, der Gestank muss grauenvoll gewesen sein. Trotzdem beschloss der Hausbesitzer, nichts anzurühren, die Körper nicht ohne spirituellen Beistand zu entfernen.

Ein Fahrer fuhr los, nach Pak Lok, eine der ersten Adressen für Geistergeleit.
Samu Djamnung traf zweieinhalb Stunden später ein. Er stellte seine bronzene Buddha-Statue auf, zündete Räucherkerzen an, besprengte den Ort mit heiligem Wasser. Er verbeugte sich vor den Toten, er wickelte eine Schnur an die Buddha-Statue und spannte das andere Ende ins Geäst eines Baumes – jetzt konnten die Geister der Schnur folgen und in den Himmel wandern.
Und dann murmelte er seine Gebetsformel, eine Dreiviertelstunde lang. Alle schwiegen, alle waren erleichtert. Anschließend ließ Samu Djamnung sich bezahlen, zurück zum Kloster nahm er ein Taxi.
Warum hat die Katastrophe sie heimgesucht – diese Frage beschäftigt nicht nur die Buddhisten Thailands, sondern auch die Hindus in Indien, die Katholiken, Hindus, Buddhisten auf Sri Lanka, die Muslime in Indonesien. Eine eindeutige Antwort geben Buddhisten wie Samu Djamnung. Aus Gier und Selbstsucht vergaß der Mensch die Einheit mit der Natur.
Aber auch eine Buddhistin wie Nina, Strandstuhlbesitzerin am Beach von Patong, macht sich wenig Gedanken um ihre Verbindung zur Natur, sie sorgt sich um das Schicksal jener 120 Strandstühle, die ihr gehörten, Stückpreis von 2500 Bath, umgerechnet 50 Euro, alle mit blauer Farbe gekennzeichnet. Und ganz plötzlich, gleich nach der Flutkatastrophe, waren sie fort – und nicht, wie die Stühle ihrer Nachbarn, wieder an den Strand geworfen.
Nina weiß nicht genau, wer ihr die Stühle gestohlen hat; sie hat allerdings einen Verdacht. Aber das nützt ihr wenig, denn zur Polizei kann oder will sie nicht marschieren – in Thailand, sagt sie, geht man nur im allergrößten Notfall zur Polizei, es sei denn, man ist Ausländer oder äußerst reich. Alle anderen müssen sich selbst helfen.

Nina will also heute Abend auf die Bangla-Road gehen, ein paar Auskünfte einholen. Wenn sie Glück hat, kann sie ihren Verdacht erhärten, und wenn sie sehr viel Glück hat, kann sie jemanden auf ihre Seite ziehen, der mächtig genug ist, um die Plündererbande unter Druck zu setzen, damit die Ninas Stühle rausrückt, wodurch allerdings Nina in der Schuld ihres Gönners stünde, ein ewiger Kreislauf.

Nina und ihre Schwägerin haben für die Stühle 300.000 Bath bezahlt, rund 6000 Euro. Vor 26 Jahren war sie, Tochter eines Kleinbauern, nach Patong gekommen, sie kennt das Amüsierviertel noch aus der Zeit, als es aus ein paar Bretterbuden und einer halben Tankstelle bestand. Sie fährt inzwischen einen weißen Geländewagen, hat ein Handy, ist an einem Digitalfotolabor beteiligt.
In den Boomjahren auf Phuket machte Nina alles, was wehtat und Geld brachte: Sie war erst Hure in einer Bar, dann Barbesitzerin, zwischendurch kellnerte sie, verkaufte halluzinogene Pilze an Hippies, jobbte als Fotomodell, gab Schnorchelkurse für Kinder, und jeden Bath legte sie beiseite. Die Vermietung der Strandstühle sollte ihre Altersversorgung sein.

Am 26. Dezember, als das Wasser die Rath-U-Thit-Road entlangschwappte, wollte Nina gerade in ihr Auto steigen, sie war zu einem Weihnachtsfrühstück eingeladen. Sie zog ihre Schuhe aus, kletterte aufs Autodach. Dort saß sie den Rest des Vormittags, zog Leute aus dem Wasser, versuchte zu telefonieren, später kletterte sie an der Hausfassade in ihre Wohnung. Erst am übernächsten Tag kämpfte sie sich zum Strand durch, andere Stühle lagen noch verstreut herum, ihre waren schon weg.

So geht sie die Bangla-Road ab, späht in Restaurants, schaut in Bars, auf der Suche nach dem einen oder anderen einflussreichen Freund. Aber sie hat an diesem Abend kein Glück; dafür wird sie überall von Barmädchen begrüßt, die auf sie zulaufen, die Handflächen aneinander legen, sich strahlend vor Nina verbeugen und sie „Mama“ nennen – ihre ehemalige Lehrmeisterin, die Hure, die den Absprung geschafft hat, das große Vorbild.
Soll sich etwas ändern auf der Insel? Sie denkt kurz nach, zögert und erzählt dann, wie sie Wochen vor der Katastrophe an einem Strandabschnitt vorbeikam, an dem ein Bürgersteig betoniert wurde. Eine Kokospalme, die im Weg stand, war gefällt worden. „Es klingt blöd, aber ich mochte diese Palme, sie war zehn Jahre alt und trug schon Nüsse. Als ich sah, dass sie gefällt worden war, dachte ich: Wenn ich Gott wäre, würde ich diese Insel aus Zorn vernichten … Aber das habe ich nur kurz gedacht. Und es war natürlich nur ein Witz.“ Sie lacht kurz, wird wieder ernst: „Aber wäre ich in meinem Heimatdorf geblieben, dann wäre ich heute eine verschrumpelte Bäuerin. Ich hätte niemals im Leben eine Hautcreme besessen, ich könnte nicht Auto fahren – welche Alternative haben wir?“

Die Sintflut hat die Fassaden von Phuket abgeräumt, die Routine unterbrochen, jetzt stürzen ihre Bewohner in eine Sinnkrise. Die Touristen, von der Monsterwelle aus ihren Liegestühlen gefegt, sind in ihre Heimatländer geflohen, die Leute, die auf der Insel leben, fragen sich nun, ob sie so weiterleben wollen wie bisher. Und als wäre das nicht schon schwierig genug, mischen sich auch noch farangs ein, Ausländer wie John Gray.
In den Bars stinkt es nach Schlamm, aber die Lichtreklamen blinken, und die Striptease-Mädchen tanzen.

Gray wirkt, als wäre er doppelt so groß wie Nina, und wahrscheinlich ist er dreimal so schwer: 1,92 Meter groß, 109 Kilogramm, wenig Fett. Grauer Vollbart, Pferdeschwanz, Hals wie ein Baumstamm, austrainierte Beine. Nächste Woche wird er 60. Er raucht nicht und isst kein Fleisch. Zwei Zehennägel sind schwarz, da ist ihm ein Kanu draufgeknallt, er organisiert Kanutouren auf dem Meer, er hat 20 Boote und 30 Angestellte, eine Tour dauert acht Stunden, Gray paddelt immer mit.
John Gray stammt aus Kalifornien, er war früher Rettungsschwimmer, Rettungstaucher, er diente bei der Navy, er kann surfen, hat Adler ausgewildert und in den siebziger Jahren ein halbes Dutzend Kampagnen zur Rettung wildlebender Tiere angeführt.
John Gray wollte immer die Welt retten. Aber als die Flut kam, hat er versagt.
Er stapft in seinem Büro auf und ab, bleibt plötzlich stehen. „Ich mache mir große Vorwürfe.“

Gray war wahrscheinlich einer der wenigen Menschen auf Phuket, die über Tsunamis mehr wussten als nur den Namen. Von Kalifornien aus war Gray nach Japan gegangen, später nach Hawaii. „Dort hatte es kleinere Tsunamis gegeben, 1960 und 64, und einen relativ großen 1946, bei dem 159 Menschen starben – ich lebte schließlich dort, also hab ich alles darüber gelesen, was mir in die Finger kam.“

An diesem 26. Dezember, gegen Mittag, wollte Gray mit einer Gruppe von 16 Touristen auf Kanutour gehen. Er saß schon um acht Uhr im Büro, Gray hat Weihnachten immer ignoriert, und er steht morgens immer um vier Uhr auf, wann sonst.

„Ich spürte ein Schütteln und Grollen – hey, dachte ich, das war ein Big One, ein heftiges Beben. Ich bat darum, eine Schale mit Wasser in den Raum zu stellen.“
Das Wasser kräuselte sich. Man sah Ringe.
„Die Frage war nun, wo kriege ich eine Bestätigung, und wie viel Zeit haben wir?“
John Gray machte sich an die Arbeit, er wollte die Welt retten.
Er surfte durch australische und amerikanische Erdbeben-Sites, er schrieb Mails, bat um Rat.

An ein Erdbeben-Center in Australien schrieb er: „Hey, Leute, wisst ihr irgendwas über das Sumatra-Beben und einen etwaigen Tsunami? Wenn, dann muss ich es bald erfahren. Wir haben heute ein paar Kajaktouren vor, rund um Phuket, Thailand. Etliche Teilnehmer sind übrigens Aussies.“
Gray hatte eigentlich nur einen Aussie, einen Australier, dabei, aber er dachte, dass ein bisschen Übertreibung nicht schade.
Die Mail ging, laut Grays Protokoll, um genau neun Uhr morgens raus. Da waren es noch eineinhalb Stunden bis zum Aufprall der beiden großen Flutwellen.
Die Antwort kam 24 Minuten später. Sie lautete: „Wir haben einen Hinweis vom Pacific Tsunami Warning Center auf Hawaii bekommen. Die sind der Ansicht, dass für den Pazifik keine Bedrohung existiert. Wie auch immer, sie schließen die Möglichkeit eines Tsunami in der Nähe des Epizentrums nicht aus, also vor der Westküste Nord-Sumatras. Weitere Informationen liegen uns nicht vor, mit freundlichem Gruß.“

Alles blieb offen. Gray war ratlos.
Er rief bei den großen Hotels an, „Ich erklärte, wer ich bin, was ich glaube und dass sie ihre Gäste vom Strand holen sollen – aber ich wurde abgewimmelt, kein einziges Mal wurde ich zum Hoteldirektor durchgestellt“.
Und die Polizei? „Ich hatte daran gedacht“, sagt Gray, „zumal der Onkel meiner Frau hier Polizeichef ist. Aber in Thailand geht man nicht zur Polizei, und ich dachte, was können die schon tun?“

Gray beschloss, wenigstens seine eigenen Leute zu warnen. Die waren bereits auf dem Pier, um die Kanus vorzubereiten. Gray kommandierte seine beiden Fahrer vom Hafen weg und ins Landesinnere. Den Kapitän des Begleitbootes wies er an, sofort aufs offene Meer zu schippern. „Er hielt mich für übergeschnappt, ich musste ihm mit Kündigung drohen, damit er endlich hinausfuhr.“
Da war es 10.12 Uhr. Etwa 20 Minuten später wickelte sich der Tsunami um die Insel und fuhr in die Chalong- und Phuket-Bay. Die Boote im Hafen wurden zerstört. Gray hat 17 Leben gerettet, aber dennoch fühlt er sich, als habe er einen großen Kampf verloren, den Kampf gegen das Meer. Den Kampf gegen die Inselzerstörer will er gewinnen, aber ob die Großgrundbesitzer und Behörden wirklich eine Umkehr und einen Neuanfang wollen, daran hat nicht nur Gray Zweifel.

Misstrauen macht sich breit auf Phuket, weil die staatlichen Stellen verdächtigt werden, selbst bei der Zahl der Toten nicht ehrlich zu sein: 262 Leichen soll das Meer an die Strände gespült haben, die Zahl der Vermissten wird mit 700 angegeben. Zwei- bis dreimal so hoch sei die wirkliche Zahl, schreiben örtliche Zeitungen unter Berufung auf Rettungskräfte, in Phuket müsse letztendlich mit einigen tausend Toten gerechnet werden. Die Wahrheit werde verschwiegen, um den Tourismus schneller wiederzubeleben.

Eigentlich wollte John Gray auf Phuket nur seinen Lebensabend verbringen, entspannt und so oft wie möglich auf dem Wasser. Aber daraus wird wohl nichts, Gray will diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die für die Katastrophe verantwortlich waren, er will für ein Tsunami-Warnsystem kämpfen, für einen neuen, sanften, ökologischen Tourismus. Und das ausgerechnet auf Phuket? „Gerade auf Phuket“, sagt Gray.

Von Ralf Hoppe ( Der Spiegel)

 

„Feuer und Öl“

Terror im Touristenparadies: Unruhen im muslimischen Süden bedrohen den Ruf des sanften Siam. Premier Thaksin geht mit harter Hand gegen Islamisten vor.Pittaya Maeprommit, 40, ist der traurigste Fußballtrainer der Welt. Dabei war seine Mannschaft „TR Sport“ keine Verlierertruppe. Im Gegenteil: Sie mischte immer vorn mit bei den Dorfturnieren hier im Süden des Landes; zu den Spielen im Stadion von Suso kamen schon mal über 1000 Zuschauer.
Aber welcher Coach kann es verkraften, wenn er von einem Tag auf den anderen 13 seiner Kicker verliert? Genau das geschah in Suso: Die gesamte Mannschaft – und noch ein paar weitere Jugendliche – starben am Morgen des 28. April.
„Sie hatten mir nicht gesagt, was sie vorhatten. Sie sagten nur, dass sie zu einer anderen Moschee fahren würden“, sagt Pittaya leise und zupft seinen Sarong zurecht. Das war am Abend vor der Tragödie.

Doch seine Sportler wollten nicht beten. Stattdessen griffen sie sich Messer und Macheten und knatterten auf ihren Mopeds in Richtung der Provinzhauptstadt Yala. Auf dem Weg stürmten sie plötzlich auf eine Polizeistation los.
Die Beamten schossen die Angreifer nieder. Einige Rebellen versuchten, sich in ein Gartenrestaurant gleich neben der Wache zu retten – vergebens. „Sie hatten die Hände erhoben. Sie hätten nicht sterben müssen“, sagt Pittaya. Unter den Toten war auch sein jüngerer Bruder Kamaruding. „Er war ein guter Mittelfeldspieler“, sagt der Trainer.

Pittaya, im Hauptberuf Plantagenarbeiter, sitzt an einem langen Holztisch in einem leeren Restaurant unweit seines Hauses im Dorf Kede im Süden Thailands. Es ist Ramadan, erst nach Einbruch der Dunkelheit wird er das Fasten brechen. Der Trainer zeigt keine Empörung über das Geschehen. „Es war alles Allahs Wille“, sagt er. Die Frage nach dem Warum der Kamikaze-Aktion kann – oder will – er nicht beantworten. Niemand habe zuvor Hass auf die Regierung erkennen lassen, behauptet Pittaya: „Sie sind beeinflusst worden“, sagt er, „jemand muss ihnen das Gehirn gewaschen haben.“
Die Fußballer von Suso waren nicht die Einzigen. In der gesamten Region wurden elf Polizei- und Militärposten angegriffen: 32 Jugendliche verschanzten sich in der historischen Krue-Se-Moschee bei Pattani. Keiner von ihnen kam lebend aus dem kleinen Gotteshaus heraus. Insgesamt starben an jenem Tag 107 Menschen.

Seither bleibt es nicht mehr ruhig in Thailands Südprovinzen: Bomben explodieren, Unbekannte köpfen Mönche, strecken Lehrer, Geschäftsleute, Soldaten und Polizisten nieder. Mehr als 400 Menschen kamen seit Jahresbeginn ums Leben.
Ende Oktober erreichte die Krise einen neuen Höhepunkt. In dem verschlafenen Ort Tak Bai an der Grenze zu Malaysia erschossen Soldaten bei einer Protestkundgebung 7 Männer und zwängten über 1300 Demonstranten in ein paar Lastwagen: 78 erstickten qualvoll.
Dabei galt die Region, in der über zwei Millionen Malaiisch sprechende Muslime leben, als Muster friedlicher Koexistenz der Religionen: 1902 hatte Bangkok das Sultanat Pattani annektiert, doch die Separatisten, die seit den sechziger Jahren für die Unabhängigkeit von Thailand kämpften, schienen längst aufgegeben zu haben.

Nun fürchten Thailands Militärs, radikale Muslime könnten den Konflikt wiederbeleben und in den Norden des Landes tragen. Das hätte weit reichende Folgen: Die Urlauberinsel Phuket liegt nur 350 Kilometer entfernt, ein Attentat wie 2002 auf Indonesiens Ferieninsel Bali würde die thailändische Tourismusindustrie und den Ruf des sanften Siam mit einem Schlag erledigen. Tatsächlich drohte die tot geglaubte Vereinigte Befreiungsorganisation Pattani vor wenigen Tagen kryptisch an, Bangkok, die Hauptstadt der Ungläubigen, niederzubrennen: „Unsere Waffe ist Feuer und Öl, Feuer und Öl.“
Abddrorsut Masoh ist Kokosnuss-Händler und Mitglied des Gemeinderats im 400-Seelen-Dorf Salamai. Elf Einwohner, die wohl mehr aus Neugierde als aus Zorn zur Demonstration ins nahe Tak Bai gefahren waren, gehörten zu den Opfern. Für Abddrorsut, 29, war es Mord: „Die Armee wollte an diesem Tag nicht nur eine Demonstration auflösen. Sie wollte Leute umbringen, als Rache für ihre Toten.“

Von den Überlebenden waren einige übel zugerichtet nach Salamai zurückgekehrt. Aber kein einziger Offizier ist bislang bestraft worden, kein Politiker zurückgetreten. „Die Verantwortlichen müssen ins Gefängnis, für mindestens 20, 30 Jahre“, fordert Abddrorsut. Doch merkwürdig:
Ob Imam oder Abgeordneter, Bürgermeister oder Gelehrter – wer genau hinter den Unruhen der letzten Monate steckt, mag niemand erklären. Umgekehrt hat auch noch niemand die Anwesenheit ausländischer Agitatoren nachgewiesen. Nur so viel scheint klar: Immer mehr junge thailändische Muslime fühlen sich als Teil einer weltweiten Bewegung – einer islamischen Renaissance. In der Nähe von Yala entsteht derzeit eine große Islamische Universität – finanziert auch von Saudi-Arabien.

Abhisit Vejjajiva, Vizechef der oppositionellen Demokratischen Partei in Bangkok, warnt: „Wenn wir das Problem nicht schnell lösen, besteht die Gefahr, dass ausländische Gruppen die Situation ausnutzen.“ Der Politiker sieht hinter den Gewaltausbrüchen weniger den Versuch von Separatisten oder fanatischen Religionskriegern, das Schwert des Islam zu schwingen. Ursache der Krise ist nach seiner Ansicht vielmehr die harsche Politik der Regierung gegenüber der muslimischen Minderheit: „Die Menschen fühlen sich bedroht und ungerecht behandelt.“

Auch Geistliche und Bürgerrechtler weisen Premierminister Thaksin Shinawatra einen Teil der Schuld am Drama des Südens zu. Thaksin, einer der reichsten Geschäftsleute Asiens, verwalte sein Heimatland wie eines seiner Unternehmen: stets auf Effizienz bedacht, aber ohne Feingefühl. Die Tragödie in Tak Bai bezeichnete er kühl als „Managementfehler“.

Der Regierungschef zeigt Kompromisslosigkeit, weil er im Kampf gegen den internationalen Terrorismus fest an der Seite der Amerikaner stehen möchte. Seine Karriere hatte er einst als Polizist begonnen, doch das hinderte ihn nicht daran, die in den Südprovinzen traditionell gute Zusammenarbeit zwischen Sicherheitskräften und den örtlichen Verwaltungen zu zerschlagen. Selbst eine Kommission, bei der Muslime ihre Anliegen vortragen konnten, ließ er auflösen.
Die Unruhen erschüttern eine Region von tropischer Schönheit. Sattgrüne Reisfelder, Palmenhaine und Kautschukplantagen lösen einander ab. Männer führen Affen an der Kette spazieren, vor den Häusern hängen Käfige mit Singvögeln. In den Dörfern lächelt die Königin von großen Plakaten. Hinter der harmonischen Fassade blüht jedoch seit jeher der Schmuggel; Grenzorte wie Sungai Golok leben vom Prostitutionstourismus malaysischer Kunden. Mafiose Politiker, Armee und Polizei sind in dunkle Geschäfte verwickelt.

Jetzt sind auch die religiösen Spannungen greifbar: Hinter der 235 Jahre alten Wadil-Husen-Moschee von Taloh Manoh haben sich örtliche Würdenträger versammelt. Sie wollen für jene 22 Toten von Tak Bai beten, die hier am Waldrand in einem Massengrab verscharrt worden sind, weil niemand sie identifizieren konnte.

Pracha Taerat, seit wenigen Tagen Gouverneur der Provinz Narathiwat, kommt am vorvergangenen Donnerstag zur Zeremonie, um die Einwohner zu beruhigen. Soldaten und Leibwächter mit automatischen Waffen sichern das Gelände. Wortreich entschuldigt er sich für das Geschehen. „Wir sollten nicht mehr so hart vorgehen wie bisher“, sagt er und springt in einen Pick-up – in Narathiwats Zentralmoschee will er bei Hinterbliebenen anderer Opfer Abbitte leisten. Dort überreicht er jedem 6000 Baht (rund 115 Euro) und einen Lebensmittelkorb.
Die Trauernden nehmen seine Worte ohne Regung auf. „Ich habe meinen Sohn nur an der Identitätskarte erkannt. Sein Gesicht war zerstört. Seine Fingernägel haben gefehlt“, sagt eine hagere Frau.

Ein paar Kilometer weiter nördlich feiern Buddhisten im Hongsaram-Tempel. Sie spenden Geld für die Mönche, das diese auf Stöcke spießen und in einer Prozession um den Tempel tragen. Soldaten mit Stahlhelm wachen am Eingang, den auch ein leichtes Maschinengewehr sichert.
Die Buddhisten gehören hier zur Minderheit – und sie haben Angst vor der Rache der Muslime. Einige wollen fortziehen. „Mich muss ein Leibwächter schützen, wenn ich morgens betteln gehe“, klagt ein Mönch. Die Lehrerin Pong schwenkt aufgeregt ihr Korbtäschchen: „Mein Mann ist neulich von einer Kugel ins Bein getroffen worden. Sie wollten seinen Freund, einen Polizisten, erschießen. Da hat er sich dazwischengeworfen.“

In Suso umfriedet eine niedrige Betonmauer auf einer Kautschukplantage das Grab der Fußballer vom „TR Sport“. Der Imam hat sie gemeinsam beerdigen lassen. Nach der Fastenzeit will sich Trainer Pittaya Spieler für eine neue Mannschaft zusammensuchen. Im März fängt die Saison wieder an.

Von Andreas Lorenz (Der Spiegel)

Die Albtraum-Nachbarn

Zwischen 1985 und 1995 hatte Thailand die höchste Wachstumsrate der Weltwirtschaft, fast 9 % pro Jahr. Dies erhöhte den spekulativen Druck auf die lokale Währung, den Baht. 1997 trieben Spekulanten die Währung in eine Krise, der nach und nach mehrere asiatische Staaten (sog. ‚Tigerstaaten‘) zum Opfer fielen und zu einer dramatischen aber kurzfristigen Schrumpfung des Wachstums führte…

Sie waren Weltspitze im Wachstum und stürzten dann in die Rezession: Jetzt bekämpfen Thailand und Malaysia ihre dramatische Wirtschaftskrise mit gegensätzlichen Konzepten – und beäugen sich mißtrauisch. Schaden die Rezepte aus dem Westen?Ein paar Wechselstuben, einige schäbige Spielhöllen und zwei Dutzend Massagesalons, vor denen grellgeschminkte, miniberockte Mädchen herumlungern und jeden anmachen, der von „drüben“ kommt, aus Malaysia: Der kleine thailändische Grenzort Padang Besar ist spezialisiert auf Dienstleistungen der besonderen Art. „Sexy Girl“, „Big Boss“, „Golden Gate“ heißen die Etablissements.

Der Name des neuesten Stundenhotels fällt aus dem Rahmen – „Berlin“. Und doch macht die Bezeichnung für jeden Sinn, der einmal durch den Ort gefahren ist. Es gibt eine augenfällige Parallele zwischen der europäischen Metropole und dem südostasiatischen Kaff. Hier im Dschungel, fernab der nächsten Großstadt, wurde gerade Stein für Stein aufgerichtet, was in Deutschland als Symbol der Spaltung abgerissen ist: die Mauer.

23 Kilometer lang zieht sich der merkwürdige Grenzwall hin, 2,40 Meter hoch, durchgehend mit Stacheldraht abgedeckt. Die Mauer beginnt unmittelbar am Ortsrand und zerschneidet sogar einige bebaute Grundstücke, bevor sie sich einen Feldweg entlangwindet, dann in Dschungelgebiet verliert und über Kalksteinklippen Richtung Andamanensee abfällt – eine silbrigglitzernde, schlängelnde Beton-Python in der Tropensonne.

Malaysia hat den Wall in den letzten zwei Jahren mit einem Kostenaufwand von 30 Millionen Mark errichtet, gegen die wütenden Proteste der thailändischen Regierung, die Anfang 1998 Armeehubschrauber im Tiefflug über die Grenzbefestiger patrouillieren ließ. „Wir mußten die Barriere bauen, weil immer mehr illegale Einwanderer, Drogen und Waffen eingesickert waren“, behauptet der malaysische Chefminister Shahidan bin Kassim. Die Mauer und verstärkte Kontrollen hätten die Situation schon heute erkennbar verbessert.

Es gibt keine Minen, keinen Todesstreifen à la DDR; über 400 Kilometer gemeinsame Grenze sind unbefestigt. Doch die Mauer zwischen den beiden Nachbarn ist mehr als ein physischer Schutzwall, sie ist zementierte Entfremdung, ein Sinnbild: Sie trennt zwei Staaten, die in Organisationen wie dem Regionalbund Asean formal zusammenarbeiten, aber in Wirklichkeit verschiedene Wege gehen – Thailand und Malaysia sind Gegenpole.

Auf der einen Seite steht eine vom Buddhismus geprägte, sexuell freizügigere Gesellschaft, auf der anderen eine moralisch strenge muslimische Gemeinschaft. Bangkok bevorzugt demokratische „westliche“ Spielregeln, Kuala Lumpur beharrt auf autokratischen „asiatischen“ Werten, dem angeblich überlegenen eigenen Weg.

Jahrelang waren tiefgreifende Unterschiede von gemeinsamen Erfolgsmeldungen überdeckt worden: Thailand wie Malaysia gehörten mit Zuwachsraten von durchschnittlich sechs bis neun Prozent pro Jahr zu den Weltbesten im Wachstum. Mitte 1997 stürzten sie, wie fast ganz Asien, in eine unerwartete, tiefe Krise. Aus den beneideten Vorbildern wurden Nachbarn im Alptraum. 1998 schrumpfte die Wirtschaft der beiden um jeweils über sechs Prozent, nur in Indonesien ging es noch schneller bergab. Tausende Firmen mußten Bankrott anmelden, Millionen Arbeitslose stehen, mit unzureichender Absicherung, auf der Straße.

Die Thais und die Malaysier setzen bei der Bekämpfung der Misere auf gegensätzliche Konzepte. Bangkok gibt den „Musterpatienten des Internationalen Währungsfonds“ (IWF), so die britische Zeitschrift „Economist“, und öffnet seine Märkte, so weit, so schnell, daß manche im Land schon die Gefahr eines nationalen „Ausverkaufs“ wittern; Kuala Lumpur (KL) schottet sich mit Kapitalkontrollen ab, verärgert Investoren, provoziert mit rüden Schuldzuweisungen den Westen.

Versuchslabor Fernost: Die Betroffenen experimentieren – und beäugen einander mißtrauisch. Der Rest der Welt beobachtet die Entwicklung gespannt, denn neue Krisenherde, neue Flüchtlingsströme könnten auch ihn bedrohen. Wer hat das bessere Konzept und wird damit bei der nächsten Finanzkatastrophe zum Vorbild? Hilft eher Abschottung oder Angleichung, Mauer oder unbeschränkte Durchlässigkeit?

Samstag abend gegen sechs, wenn in der Jamek-Moschee der Muezzin das Ende des Gebets verkündet, schlägt in der malaysischen Hauptstadt die Stunde der Demonstranten. Es ist ein merkwürdiger Haufen, der sich da im Stadtteil Kampung Baru zusammenrottet: junge Männer in Jeans, den Walkman-Knopf mit ihrem Lieblingskampflied im Ohr – „Street Fighting Man“ von den Rolling Stones; bärtige Mullahs im weißen Flattergewand, den Koran unterm Arm; züchtig gekleidete ältere Frauen; Teenies mit wallendem Haar und Glitzerkleidern, die aussehen, als kämen sie gerade aus der Disco.
Spruchbänder werden enthüllt, Forderungen skandiert, alle geprägt von dem einem Wort, das zum Markenzeichen der Demonstranten geworden ist: „Reformasi – Reformen!“ Und noch ein Ruf hallt durch Kampung Baru: „Resign Dr. M. – Treten Sie zurück, Herr Regierungschef!“

Als hätten sie zwischen Tradition und Moderne noch nicht ihren Platz gefunden, wirken auch die Gebäude der Umgebung. Da ducken sich neben der mächtigen Moschee schäbige Steinhäuschen, die letzten Überreste einer vergangenen Zeit. In den engen Gassen braten Marktfrauen Satay-Spießchen und preisen frisch kandierten Zucker an, wie früher im wirklichen „Kampung“, dem malaiischen Dorf.

Doch direkt dahinter türmt sich der Fortschritt im Weltrekordformat: ein stahlstrotzender Spargelwald mit dem Doppelwolkenkratzer Petronas Towers, dem höchsten Gebäude der Welt (452 Meter, und oft vom Smog verhüllt); dem Menara-Fernsehturm (421 Meter); den Marriotts, Mandarin Orientals, Shangri-Las und all den anderen pompösen Turmbauten zu Kuala Lumpur. Die neueren Hotels stehen bis zu 80 Prozent leer, allein in den letzten 18 Monaten eröffneten in der Hauptstadt ein halbes Dutzend Luxusherbergen, innerhalb eines Jahrzehnts hat Malaysia seine Hotelzimmerzahl mehr als verdreifacht, auf 130 526.

KL quillt über von todschicken Einkaufspassagen, die verzweifelt nach Kunden Ausschau halten. Ein gigantischer internationaler Flughafen 70 Kilometer südlich der Hauptstadt ist gerade erst fertiggestellt, wie so vieles eine Nummer zu groß für das 22-Millionen-Einwohner-Land.

Auch 1999 deutet nichts auf ein Ende des Baubooms, selbst samstags abends planieren die Bulldozer in der Nähe der Protestkundgebung alte Häuser ein, kreisen die Kräne. Malaysia steckt in einer tiefen Rezession – und doch werden Autobahnen zu einer neuen High-Tech-Stadt in den Urwald geschlagen; riesige Einkaufspassagen erweitern ihre Kapazitäten, Berjaya Star City um 180 000 Quadratmeter.

Ministerpräsident Mahathir Mohamad, 73, will es so. Der Mann, den sie Dr. M. nennen, hat sich entschlossen, durch eine massive Erhöhung der Staatsausgaben und günstige Kredite an einheimische Großfirmen die Wirtschaft künstlich in Schwung zu halten – andere asiatische Staaten schnallen den Gürtel enger, in KL soll die Party weitergehen.

Der Sonderweg hat einen Preis: Malaysia hat sich seit dem 1. September 1998 von der Weltwirtschaft weitgehend abgeschottet. Dr. M. verhängte Kapitalverkehrskontrollen, um seine Ökonomie vor den Folgen der starken Wechselkursschwankungen zu schützen und Kapitalflucht zu verhindern – er errichtete neben den physischen auch virtuelle Mauern. Der Wechselkurs des Dollar ist fixiert (auf 3,80 Ringgit), und ausländische Anleger sitzen – voraussichtlich zwölf Monate lang – auf Milliarden Dollar fest, die sie in malaysische Aktien investiert haben.

Dr. M. ging auf Kollisionskurs mit dem IWF. Wie in den Nachbarländern hätten auch in Malaysia Vetternwirtschaft, faule Kredite durch unkontrolliert agierende Banken und einen überhitzten Immobilienmarkt den Niedergang ausgelöst, stellten die IWF-Fachleute fest und forderten eine Politik der Liberalisierung und Deregulierung. Von wegen, setzte Premier Mahathir trotzig entgegen, das sei alles Propaganda: Malaysias Grunddaten seien gesund.
Viele der jungen Muslime in der Protestbewegung haben – Jeans hin, Stones her – wegen der selbstherrlichen militärischen „Strafaktionen“ in Afghanistan, Sudan und Irak erhebliche Vorbehalte gegen Washington. Die Rede des US-Vizepräsidenten Al Gore beim Asiatisch-Pazifischen Gipfel Mitte November in Kuala Lumpur („Wir hören die Rufe nach Demokratie im tapferen Volk der Malaysier“) empfanden nicht nur Regierungsvertreter, sondern auch manche malaysische Oppositionelle als kontraproduktive „Einmischung“.

Was die „Reformasi-Boys“ dem Regierungschef aber als unverzeihlich anlasten, sind Pressezensur (von ihren Demos steht nichts in den Zeitungen) – und die staatliche Verfolgung ihres Helden Anwar Ibrahim. Viele halten Anwar-Porträts hoch, als die Polizei mit Wasserwerfern und Tränengaspatronen nun in der Abendstunde bedrohlich näher rückt.

Anwar, 51, war jahrelang Finanzminister, Vize und designierter Nachfolger des Regierungschefs. Doch am 2. September 1998 feuerte ihn Mahathir aus seinem Amt, 24 Stunden später aus der Umno-Partei; dann ließ er ihn wegen Korruption und „Sodomie“ (so heißt der in Malaysia als Verbrechen geahndete homosexuelle Verkehr) verhaften.

Der Prozeß führt den Malaysiern jetzt täglich vor Augen, wie weit ihr Land davon entfernt ist, ein Rechtsstaat zu sein. Anwar wurde in der Haft geschlagen, sein Gesicht war geschwollen. Ein Polizeioffizier sagte aus, auf Anweisung würde er lügen, auch unter Eid. Ein Chauffeur, den der Angeklagte zum Sex gezwungen haben soll, widerrief sein Geständnis im Kreuzverhör. Dann sollten Spermaflecken auf einer sichergestellten Matratze Verfehlungen beweisen. In der letzten Woche beschloß das Gericht überraschend, vorläufig nur noch die Korruptionsanklage zu verfolgen – was Anwar bloßstellen soll, entlarvt in Wirklichkeit Malaysias autokratisches Regierungssystem.

Die Demonstranten ändern ihre Taktik. „Auf der Straße zeigen wir nur noch formal Präsenz“, sagt einer der bärtigen Reformasi-Boys, „der Kampf wird woanders entschieden – wir schlagen den Hochtechnologie-Fan Mahathir mit seinen eigenen Waffen.“ Er zeigt zum „Zaas Cyber Café“. Seine Anhänger haben Anwar eine eigene Homepage im Internet eingerichtet. Da tauschen die Dissidenten Informationen aus, verabreden Aktionen. Sie versenden auch „subversive“ Gedichte, wie das des malaysischen Dichters Cecil Rajendra über die Angst der Regierenden:

Endlich, um die absolute innere Sicherheit zu gewährleisten, verabschiedeten sie die Notstands- und Verhaltensverordnung für Tiere. Spechte mußten das Hacken ihrer Morsebotschaften von Kokospalmen einstellen. Java-Schwalben wurden scharenweise wegen der Verbreitung von Gerüchten verhaftet. Katzen – der Verschwörung verdächtigt – mußten ab 21 Uhr zu Hause bleiben …
Regierungschef Mahathir verschanzt sich derweil in seinem Regierungspalast, sammelt seine immer noch zahlreichen Parteigetreuen um sich. Der 73jährige mit dem vierfachen Herz-Bypass sucht einen neuen Vize: „Ideal wäre eine Kopie von mir.“ So war Dr. M. schon immer: selbstbewußt bis zur Arroganz, überzeugt, für sich und sein Land die richtigen Visionen zu besitzen. Seine Ära ist die der Staatsgründung, des nationalen Aufbaus.

Obwohl Mahathir seinen Abschluß als Mediziner am europäisch geprägten King-Edward-VII-College in Singapur machte, haßte er von frühester Jugend an die Briten, die die Region beherrschten. Der Sohn kleiner Leute gehörte bald nach der Gründung 1946 zur Umno-Partei, die um die Unabhängigkeit kämpfte; die Umno kam nach dem teilweisen Rückzug der Kolonialherren 1957 an die Macht und hat sie nie verloren.

Mahathir war lange innerhalb seiner Partei umstritten, drei Jahre lang war er sogar ausgeschlossen. Er setzte sich letztlich durch, weil er bereit war, der nationalen Einheit alles unterzuordnen – der Zusammenhalt der einzelnen Volksgruppen war ihm wichtiger als die Einhaltung demokratischer Spielregeln.
Und am Anfang gab es dafür zumindest nachvollziehbare Gründe: Er hatte erlebt, wie es 1969 zu einem blutigen Amoklauf gegen die reichen chinesischen Malaysier gekommen war: Die „Söhne des Gelben Kaisers“, die meisten seit Generationen im Land und fleißige wie begabte Unternehmer, beherrschten bei einem Bevölkerungsanteil von damals 37 Prozent (heute: 26) weite Teile der Wirtschaft (heute: etwa 60 Prozent). Sie zogen Neid und Haß auf sich, ethnische Unruhen drohten den jungen Staat zu zerreißen: „Amok“ ist ein malaiisches Wort.

Um das fragile Gleichgewicht im Völkermosaik wiederherzustellen – neben den Malaien und Chinesen sind mit etwa acht Prozent Bevölkerungsanteil die Inder drittgrößte Gruppe -, gewährte die Umno-Regierung den „Eingeborenen“ Sonderrechte: Die Malaien hießen von 1971 an „Bumiputras – Söhne der Erde“ und wurden beim Landkauf und bei Firmengründungen bevorzugt behandelt. Die anderen Volksgruppen hielten still, weil es mit der Wirtschaft so rapide bergauf ging, daß alle profitierten.

Mahathir, seit 1981 Premier, versuchte die Nation weiter zusammenzuschweißen und ihren Stolz zu wecken. Er fand ein neues Feindbild im „Sittenverfall und in der Dekadenz“ des Westens, den er auch wirtschaftlich auf dem absteigenden Ast wähnte. Er schwor seine Malaysier auf die „asiatischen“ Werte ein: Disziplin und Fleiß, Lernwille und Leistung, vor allem aber die Bereitschaft zur Unterordnung in der Familie, im Staat.
Eine „gute Regierung“ sollte nach Mahathirs Meinung daran gemessen werden, ob sie Wohlstand und Stabilität für die Bevölkerung bringt, nicht an der Verwirklichung individueller Freiheitsrechte. Islamische Fundamentalisten wie demokratische Kritiker hielt Dr. M. mit dem Internen Sicherheitsgesetz auf Distanz, das Haft ohne gerichtliches Urteil gestattet. Absolute Kontrolle forderte absoluten Einsatz der Nummer eins: Dr. M. rügte die verführerische Auslage von Damenunterwäsche, er verbot die Ausstrahlung von „unislamischen“ Filmen wie Steven Spielbergs „Schindlers Liste“. Und er suchte die Toilettenschüsseln für die Büros der weltrekordhohen Petronas Towers aus.

„Malaysia boleh – Malaysia kann’s“, hieß das stolze Regierungsmotto, basierend auf Mahathirs Vision, das Land bis zum Jahr 2020 zum vollentwickelten Industriestaat zu machen.
Doch einige Malaysier schafften es sehr viel schneller als andere: Dr. M. umgab sich in seinen 17 Dienstjahren als Premier immer mehr mit einem Stab von Jasagern – für Speichellecker existieren in der Umgangssprache heute so viele Synonyme wie im Eskimo-Jargon für Schnee. Korrupte „Vettern“, auch viele Verwandte von Mahathir, machten Millionen: Banken pumpten ihnen gegen Regierungsgarantien, was sie brauchten.

Gigantische Kapitalströme aus dem Westen kurbelten die Wirtschaft zusätzlich an – bis der Wind drehte und Finanziers aus den USA sich 1997 fragten, ob das Fundament der thailändischen und malaysischen Wirtschaft wirklich so gesund sei. Sie setzten gegen den Baht und den Ringgit; die Währungen wie die Börsenwerte verfielen rapide, der Bär hatte die asiatischen Tiger eingeholt.
Mahathir witterte eine „internationale Verschwörung“: Westliche Spekulanten wie der „Schurke“ George Soros hätten vor, die ehemaligen Kolonien wieder zu kolonialisieren; vielleicht gebe es sogar einen „jüdischen Fahrplan“ gegen die Muslime von Malaysia. Anwar sah die Lage differenzierter, sprach von „Schwächen unserer Politik“, wollte marode Banken bankrott gehen lassen. Der Vize, lange Jahre Teil des Kungel-Systems, nun auf Reformkurs, suchte den Machtkampf. Mahathir eröffnete den Schauprozeß gegen seinen 22 Jahre jüngeren Herausforderer, weil er ihn anders nicht mehr ausschalten konnte.
Kurzfristig zumindest haben Malaysias Kapitalkontrollen und die massiv erhöhten Staatsausgaben Vorteile: Die Arbeitslosigkeit ist nicht ins Uferlose gestiegen, Firmenzusammenbrüche halten sich dank neuer Geldspritzen in Grenzen. Die zeitlich limitierte Einschränkung des freien Kapitalflusses könnte also Spielraum geben, um Reformen einzuleiten. Doch Dr. M. wehrt sich gegen frischen Wind – daß seine fiskalischen Tricks die Probleme nur aufschieben, daß eine gigantische Inflationswelle droht, will er nicht wahrhaben. Weil er weiß, daß er Wahlen nur mit geschönten Bilanzen gewinnen kann, greift er – so heißt es in KL – in die staatliche Rentenkasse und treibt die Börse mit massiven Stützungskäufen nach oben.

Als kleines Fenster zum Westen hält Mahathir sich ein teures Beratergremium von der Wall Street: die Finanzprofis von Salomon Smith Barney. Doch gegenüber seinem Volk pflegt er nur rüde nationalistische Töne – US-Vizepräsident Gore wird in der regierungsnahen Presse wegen seiner Malaysia-Kritik „Idiot“ tituliert, „seine Mutter hätte ihn übers Knie legen sollen“.
Wird in KL jetzt die Anwar-Gattin Wan Azizah nach der als sicher geltenden Verurteilung ihres Mannes zur Führerin der Reformbewegung? Schwingt das Pendel nach einem großen Crash gar zur fundamentalistischen Pas-Partei aus, die mit Kopftuchzwang, Alkoholverbot und Geschlechtertrennung beim Sport bisher nur im malaysischen Bundesstaat Kelantan regiert?

Eine Epoche geht zu Ende, und der Repräsentant der alten Garde hat es noch nicht einmal gemerkt. Mahathir hat seinem Malaysia keine Instrumentarien an die Hand gegeben, mit einer Krise fertig zu werden – ohne ihn, den alles steuernden Autokraten. Er hat eine orientierungslose, zwischen Höhenrausch und Katzenjammer schwankende, verunsicherte Nation geschaffen, in der neues Denken von der Mehrheit als bedrohlich empfunden wird.
Sogar die so selbstsicher wirkenden Reformasi-Boys suchen bei den Schamanen nach ihren Wurzeln. Viele pilgern samstags nach der Demo zu den „Bomoh“. Sie glauben den in Trance fallenden, in Trance lallenden Medizinmännern mehr als allen Rezepten des Dr. M.

Die Preise für seine Bananen fielen, die Pacht für Grund und Boden war nicht mehr erschwinglich, und womöglich hätte er sein Land an einen Ausländer verkaufen müssen: Der Bauer Choom Sakhon aus der thailändischen Provinz Prachin Buri nahm sich einen Strick, fuhr nach Bangkok und erhängte sich in der „Stadt der Engel“ – direkt vor dem Sitz der Regierung.
Die Polizei hat ein Sonderteam zur Betreuung Selbstmordgefährdeter eingerichtet. 51 der 100 größten Bauunternehmer Thailands klagten bei einer Befragung des Gesundheitsministeriums über schwere Depressionen. Hunderte mittelständischer Betriebe mußten Bankrott anmelden, die Arbeitslosenzahl verdreifachte sich auf drei Millionen. Ex-Manager verkaufen auf der Straße Sandwiches, ehemalige Bankangestellte verdingen sich als Zeitungsausträger, frühere Sekretärinnen, wie so viele ohne jede Unterstützung auf die Straße gesetzt, betteln in ihrer Verzweiflung Touristen an oder prostituieren sich.
Die brandneuen Wohnblocks der „Golden City“ im Norden Bangkoks stehen leer. Staub wirbelt durch kahle, nie bezogene Fabrikhallen; wie abgebrochene Zähne ragen halbfertige Wolkenkratzer in den Himmel. Aber die Wirtschaftsexperten vom IWF sagen, die Talsohle sei durchschritten – der Staat, in dem im Sommer 1997 die Asienkrise ihren Anfang nahm, habe die besten Chancen, sich als erster zu erholen. „Im Unterschied zu Kuala Lumpur haben wir es in Bangkok eben mit einer Regierung zu tun, die ihre Augen vor den Problemen nicht verschließt“, sagt Jacques Bussieres von der Weltbank.
Verelendung auf dem Land, Verzweiflung in der Stadt, steigende Selbstmordrate – sehen so Sieger aus?

Die makroökonomischen Zahlen, die Thailands Regierung vorlegt, machen Hoffnung: Das riesige Leistungsbilanzdefizit hat sich in einen Überschuß verwandelt; die Regierung ließ 56 marode Finanzhäuser zusammenkrachen. Der Baht stabilisierte sich gegenüber dem Dollar, die Börse fängt an sich zu erholen. Ausländische Geldgeber beginnen sich wieder zu engagieren – Investitionen, die dem isolierten Malaysia entgehen.

„Man hat uns äußerst bittere Medizin verabreicht, wir haben sie geschluckt. Jetzt müssen wir aufpassen, daß es keinen generellen Aufstand gegen die freie Marktwirtschaft gibt“, sagt Kanzleramtsminister Abhisit Vejjajiva in seinem betont schlichten Büro, nur Schreibtisch, Buddha-Statue, Ikea-Stühle. „Unsere Hauptaufgabe ist, die sozialen Folgen der Reformen abzumildern – darüber machen sich internationale Finanzexperten ja leider wenig Gedanken.“ Eton-Zögling Abhisit, Universitätsabschluß in Oxford (Philosophie, Politik und Wirtschaft), früherer Abgeordneter der Demokratischen Partei und mit 34 Jahren jüngstes Kabinettsmitglied, gilt als Thailands Wunderkind. Aber er ist nicht der einzige „New-Age-Politiker“. Bangkoks Politik wird heute von einer jungen Garde brillanter, an westlichen Elite-Universitäten ausgebildeter Fachleute bestimmt.

Der eher farblose, aber als integer geltende Politveteran Chuan Leekpai, 60, war mitten in der schlimmsten Krise November 1997 an die Macht gekommen – der Premier setzte sich sogleich an die Spitze einer stillen Revolution. Er ernannte Vertreter einer neuen Generation wie Buranaj Smutharaks oder Alongkorn Ponlaboot zu seinen Beratern, machte Akrapol Sorasuchart, 38, zum Regierungssprecher; Männer, die nicht mit der alten Thai-Politik der Vetternwirtschaft und Ämterpatronage in Verbindung gebracht werden konnten.

Bangkok war jahrzehntelang berüchtigt für seine korrupten „Staatsdiener“, die sich die Taschen vollstopften. „In Thailand besitzt jeder Politiker eine Bank – und jede Bank zwei Politiker“, hatte der US-Professor und Asienkenner Rudi Dornbusch formuliert. Zu einem Bürgerkrieg war es nur deshalb nicht gekommen, weil das Königshaus eine allseits verehrte Instanz blieb, weil die Nation, die nie kolonisiert wurde, kaum Probleme mit ethnischen Minderheiten kennt. Und weil der rasante Wirtschaftsaufschwung, der das ganze Land erfaßt hatte, jede Empörung abfederte.

Diese Zeiten sind vorbei, der gebeutelte Mittelstand und die verarmten Bauern können die neuen Entbehrungen allenfalls dann ertragen, wenn sie auch in der Politik einen Ruck verspüren. Eine neue Verfassung wurde verabschiedet, die Minister und Abgeordnete verpflichtet, ihr Vermögen offenzulegen; eine Wahlkommission soll den bisher weitverbreiteten Kauf von Stimmen erschweren; eine unabhängige Kontrollbehörde muß Korruptionsbeschwerden nachgehen.

Wieviel Hoffnung sich mit dem Kampf gegen die Korruption verbindet, zeigt der Aufstieg des Polizisten Seri Temiyavej zum heute wohl populärsten Mann in Thailand. Der Unerschrockene ist Gegenstand einer Biographie, Vorbild für eine erfolgreiche Fernsehserie und hat seinen eigenen Fanclub mit mehr als 2000 Mitgliedern. Seri hatte sich als Anwalt der Unterprivilegierten schon in jungen Jahren mit Unterweltbossen und zwielichtigen Politikern angelegt. Ein Kampf nicht ohne Folgen: 1991 explodierte unter seinem Schreibtisch eine Bombe, er kam mit dem Leben davon.

Doch erst seit die neue Regierung im Amt ist, geht es mit seiner Karriere steil aufwärts – Regierungschef Chuan zählt zu seinen Fans. Er machte Seri, 50, zum Boß des thailändischen FBI, dann zum Vizechef der Polizei. Eine der jüngsten Taten des hemdsärmeligen Schurkenjägers: Seri überführte zwei prominente Parlamentarier des Schmuggels und der Bestechung.
Neben dem Kampf gegen die Korruption will Thailands junge Politikergarde die Dezentralisierung, die Meinungsbildung von unten fördern. In mehreren Provinzstädten sind Diskussionsforen entstanden, in denen auch Bauern am Entstehen einer „zivilen Gesellschaft“ mitarbeiten sollen. „Die Herausforderung besteht nicht nur darin, die Wirtschaftskrise zu meistern, wir müssen auch die Grundlagen dafür schaffen, daß wir später unser Wachstum erhalten können“, sagt Minister Abhisit.

Er leitet neben der Arbeitsgruppe „Reform der Bürokratie“ auch die „Nationale Erziehungskommission“. Die Regierung möchte einen Teil der über 17 Milliarden Dollar IWF-Gelder ins Bildungssystem „umleiten“. Wie so viele asiatische Staaten hat auch Thailand in den guten Zeiten versäumt, das Ausbildungswesen zu modernisieren, und nur vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung ausgegeben.
Mit sanftem Druck ist es dem „IWF-Darling Thailand“ („Far Eastern Economic Review“) gelungen, einige der überscharfen Auflagen zu unterlaufen, die amerikanische Experten als Anhänger der reinen neoliberalen Lehre erzwingen wollten. Thai-Banken mit Einlagen der kleinen Leute wurden gerettet; das Defizit der Staatsausgaben hat Bangkoks Regierung wenigstens so weit erhöht, daß einige öffentliche Großaufträge erhalten blieben und die Arbeitslosigkeit nicht noch dramatischer steigt.

Dennoch beginnt sich die Meinung in Thailand, dem „Land der Freien“, zu wandeln. Hatten am Anfang der Krise noch 58 Prozent der Thais befürwortet, daß internationale IWF-Experten in Bangkok mitregieren, sind die „Fremdbestimmer“ heute hochgradig unpopulär. Ein Teil der Presse hat wegen der neuen Investitionsgesetze – Ausländer sollen jetzt auch in Betrieben der Fischerei- und Agrarindustrie Mehrheitsbeteiligungen haben und Land besitzen dürfen – chauvinistische Töne angeschlagen.

Die Senatoren im Oberhaus weigern sich aus anderen Gründen, dem Reformpaket zuzustimmen – bankrotte Unternehmer sollen künftig umfassender für ihre Schulden haften. Einige der größten Pleitiers aber sitzen selbst im Senat. Ohne Kompromisse wird die Thai-Regierung, die sich wie die malaysische im Jahr 2000 zur Wahl stellen muß, ihr Gesetz wohl nicht durchbekommen. Von diesen Maßnahmen aber macht der IWF seine weiteren Auszahlungen abhängig.
Behindern demokratische Spielregeln also schmerzliche Reformschritte, oder sind die aufgezwungenen Rezepte des Westens eher schädlich – Testfall Thailand? Ist endgültig erwiesen, daß „asiatische Werte“ nur der Bereicherung von Eliten dienen und repressive Regime rechtfertigen sollen – Testfall Malaysia?

„Wir kämpfen um die Seele Asiens“, sagt Bangkoks Außenminister Surin Pitsuwan. „Das neue Gesicht unseres Kontinents müssen offene, durchlässige Regierungen, eine freie Wirtschaft und die Pflicht zur Rechenschaft prägen. Wir haben lange genug den Fehler gemacht, Wolkenkratzer-Kulissen für den wahren Fortschritt zu halten. Wenn es uns nicht gelingt, die durch die Arbeitslosigkeit ausgelösten sozialen Probleme zu bewältigen und das Leiden der Menschen zu lindern, werden wir unsere ganze Region ins Chaos stürzen.“
Was hält Harvard-Absolvent Surin, 49, von einer „Auszeit“, wie sie Malaysia in Sachen Weltwirtschaft nimmt? „Wir können uns nicht einfach von der Globalisierung abschotten, sonst riskieren wir, durch die unerfüllten Erwartungen unserer Völker weggespült zu werden.“

Eine Spitze gegen den Glaubensbruder Mahathir im Nachbarland kann sich der Malaie Surin, muslimischer Aufsteiger im buddhistischen Königreich Thailand, dann doch nicht verkneifen: „Wir brauchen überall eine neue Generation von Führern, die bei aller Anerkennung der Erfolge früherer Staatschefs ihre eigenen Wege gehen.“

Von Erich Follath (Der Spiegel)

Blut im Haifischbecken

Mit dem Angriff auf den thailändischen Baht begann die Asienkrise – und eine der erfolgreichsten Währungsspekulationen aller Zeiten. US-Geldmanager verdienten Milliarden. Der gefeuerte thailändische Notenbankchef erinnert sich mit Bitterkeit:

„Die Attacke war unfair.“Es war einer jener Frühlingsabende in Bangkok, an denen die Klimaanlage in der thailändischen Zentralbank nicht fertig wurde mit Gewitterluft und Feierabendsmog, die sich über die Millionenstadt gelegt hatten.

Im vierten Stock des grauen Betonkastens schwitzte ein unscheinbarer Mann in dunklem Anzug hinter seinem Schreibtisch. Rerngchai Marakanond, oberster Währungshüter Thailands, kämpfte sich durch die letzte Akte, die er noch bearbeiten wollte. Von den Devisenmärkten Asiens, deren nervöse Händler ihm in den vergangenen Monaten schlaflose Nächte bereitet hatten, drohte um diese Stunde keine Überraschung mehr.

Die meisten Trader in den Glastürmen von Hongkong und Singapur hatten ihre Computerschirme bereits abgeschaltet. Der thailändische Baht, über dessen Wechselkurs Rerngchai wachte, lag scheinbar stabil wie ein Schlachtschiff im Markt.

Gleich würde auch er die Sachen zusammenpacken, sich in seinen silbernenMercedes setzen und nach Hause fahren. Seine Frau wartete mit dem Abendessen.

Sie wartete vergebens. Ihr Mann hatte Großes vor sich – die Verteidigung der Landeswährung. In jener Nacht blickte er erstmals in das Zentrum jenes Währungstaifuns, der die Region Monate später in den Abgrund reißen sollte.
Inzwischen sind die Aktienkurse und Währungen in Südkorea und Indonesien, in Malaysia und Thailand abgestürzt, kämpfen einst expandierende Asienkonzerne ums Überleben, und die Menschen der einstigen Boomregion ringen verzweifelt um ihre Zukunft. In Indonesien herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände: Not und Wut treiben die Menschen auf die Straßen, Geschäfte werden in Brand gesetzt, Kaufhäuser geplündert, Präsident Suharto, seit 32 Jahren an der Macht, mußte vergangenen Donnerstag zurücktreten.

Je schlimmer die Asienkrise und ihre Folgen werden, um so rätselhafter erscheint selbst Experten, wie es dazu kommen konnte. Warum ist eine komplette Volkswirtschaft wie die thailändische heute weniger wert als der Siemens-Konzern? Wieso fiel den Fachleuten so spät auf, daß die Wirtschaftssysteme der Asiaten kriselten?

Thailands ehemaliger Notenbankchef Rerngchai hat den Beginn des Bebens so deutlich wie kaum ein anderer zu spüren bekommen, und er kann, sagt er, die Verursacher identifizieren: europäische und amerikanische Banken.
An jenem Frühlingsabend im vergangenen Jahr meldete sich der Chefdevisenhändler der Zentralbank telefonisch bei ihm. Was der Mann mit hastiger Stimme berichtete, ließ Rerngchai schaudern.

Seit ein paar Minuten attackierten amerikanische und britische Banken in London und New York die thailändische Währung: Wie wertloses Stroh würden die Händler Hunderte Millionen Baht auf den Markt werfen und dafür Dollar fordern, japste der Kollege.

Die Computer seien mit Verkaufsordern regelrecht überflutet, doch kaum jemand wolle das Zeug haben. Die Zentralbank müsse eingreifen und Baht aufkaufen, um einen herben Verlust zu verhindern.
Dem Notenbankchef war klar, sagte er später, daß er am Anfang seines wohl schwersten Gefechts stand. Dies waren keine normalen Transaktionen, bei denen Investoren oder Konzerne ein paar Millionen Baht gegen Dollar tauschten.

Seine Gegner waren mächtige Währungsartisten, die am anderen Ende der Welt hocken. Sie sitzen hinter ihren Computerterminals, in Londons Financial District und in den Wolkenkratzern Manhattans. Sie hacken ihre Offerten ins Datennetz und schießen sekundenschnell riesige Geldsummen in der Welt umher. Sie riefen an jenem Abend ihren Kollegen von den anderen Banken zu: Heute quetschen wir die Thailänder, seid ihr auch dabei?

Diese Männer haben die Mentalität von Pokerspielern und besitzen eine Spekulationskasse von mehreren Milliarden Dollar. Ihr Ziel waren die Konten von Rerngchais Notenbank, in denen rund 38 Milliarden Dollar Reserven lagerten.

„Jetzt geht es los“, erinnert sich der Zentralbankchef an seine Empfindungen, „jetzt wollen sie uns killen.“

So begann am 13. Mai 1997 die Schlacht um den Baht. Was zunächst so aussah wie ein Scharmützel am entlegensten Ende des Finanzdschungels, entwickelte sich in wenigen Wochen zu einem Sturm – und schließlich zur schwersten Finanzkrise der Nachkriegszeit, die nicht nur die thailändische Wirtschaft in den Abgrund riß, sondern alle asiatischen Tigerstaaten verletzte.

In einem verzweifelten Abwehrkampf, weit dramatischer als das Finanzgefecht um das englische Pfund 1992, verpulverte Thailand nahezu alle Dollar-Reserven. Nur der Internationale Währungsfonds rettete das Land vor dem Bankrott, ebenso wie später Südkorea und Indonesien. Vergleichbares hatte die Welt seit dem Crash von 1929 nicht mehr erlebt.

Der Kampf um den Baht ist ein Lehrstück über die modernen Finanzmärkte, wo oft rührige Zentralbankiers und schläfrige Finanzpolitiker gegen die Schar schillernder Spekulanten antreten. Die Thailänder bezahlten mit sozialem Abstieg, die Spekulanten wurden mit Milliarden belohnt. Für sie war es eine der erfolgreichsten Währungsspekulationen aller Zeiten.

Insgesamt rund 30 Milliarden Dollar verlor die Bank von Thailand in ihrem Abwehrkampf, ermittelte jetzt eine Untersuchungskommission in Thailand. An die acht Milliarden davon, so errechneten die Chefs amerikanischer und deutscher Finanzinstitute in Bangkok, haben sogenannte Hedge-Fonds und mächtige Investmentbanken aus den USA und England verdient. Und anders als vielfach angenommen, waren es nicht asiatische Finanzkünstler, sondern Routiniers aus New York und London, die den Crash in Gang setzten.
Hat also doch eine Verschwörung westlicher Spekulanten die Länder Südostasiens in den Abgrund gestoßen, wie der malaysische Premier Mahathir Mohamad behauptet hat? Will der US-Kapitalismus den asiatischen Aufsteigern sein System aufzwingen, wie viele glauben? Oder sind die Glücksritter der Währungsmärkte schlicht zu mächtig geworden?

Der ehemalige Notenbankchef von Thailand schüttelt sanft den Kopf. Jede allzu schlichte Erklärung lehnt er ab. Rerngchai weiß, daß die Spekulanten eine tragende Rolle in dem Drama spielten. Er weiß aber auch, daß sein Land am Niedergang nicht ganz unschuldig war.

Die „Stadt der Engel“, wie Bangkok auf Thai heißt, war schon zuvor eine kranke Metropole. Wenn der Zentralbankchef aus dem Fenster seiner Wohnung sah, ragten vor ihm Bangkoks Bauruinen wie abgebrochene Zähne in den Himmel. Auf dem Weg zur Arbeit passierte er leere Fabrikhallen und ausgeräumte Büros.
Der glitzernde Aufschwung der vergangenen Jahre war zum großen Teil ein Boom auf Pump gewesen, nun war er ins Stocken geraten: Den Firmen ging das Geld aus, die Aufwertung des Dollar machte ihnen zu schaffen, ihre Konkurrenzfähigkeit sank. Die meisten waren hoch verschuldet – vorwiegend in Dollar und japanischen Yen, weil sie dafür niedrigere Kreditzinsen zahlten.
Sollte der Baht nur ein bißchen schwächer werden, würde der Schuldenstand automatisch steigen. Eine schmerzhafte Zangenbewegung käme in Gang: Um ihre Dollar-Schulden auszulösen, brauchten die thailändischen Firmen mehr Baht. Aber woher nehmen? Auf den Weltmärkten, wo sie ihr Rohmaterial in Dollar einkaufen, würden die Preise in Baht steigen und die Gewinne zwangsläufig schrumpfen.

Die Notenbanker kennen die grausame Wirkung einer Abwertung. Deshalb würden sie vieles tun, um das zu vermeiden.
Rerngchais Vorgänger hatten vor 14 Jahren den Baht fest an den Dollar gekoppelt und die Bindung seither fleißig verteidigt – obwohl immer mehr Fachleute die Währung für überbewertet hielten. So glich Thailands Ökonomie zum Schluß fast einem Kartenhaus. Schon ein kräftiger Windzug konnte es zum Einsturz bringen.

Die Profis der Investmentbanken witterten ihre Chance. „Wir sind wie Wölfe, die auf dem Bergkamm hocken und auf eine Herde Elche lauern“, sagt ein Geldmanager, der in Thailand dabei war.

An jenem Abend im Mai war es soweit: Das Rudel griff an.
Kaum waren die ersten Meldungen von der Attacke bei Rerngchai eingetroffen, ließ er die Direktoren zur Krisensitzung rufen. Die Stimmung war gespannt, die Experten schauten ratlos in die Runde: „Was sollen wir tun?“ fragte der Chef.
Sollten sie ihre Dollar-Reserven einsetzen und Baht aufkaufen, damit der Druck auf die Währung gemildert wird? Oder sollten sie den Spekulanten nachgeben und den Wechselkurs freigeben? Bezahlen würden dann die kleinen Leute und die Firmen. Deren Baht-Konten wären über Nacht entwertet.

Die Notenbanker mochten an diese Lösung gar nicht denken. Eine Freigabe wäre Verrat: Haben Rerngchai und seine Vorgänger nicht stets den Leuten zugerufen, der Baht sei sicher, worauf sich das halbe Land bis unters Dach verschuldet hat?
Und was sollte aus ihm selbst werden? 25 Jahre lang hatte er sich durch die Ränge der Bank nach oben gedient. Er sah Regierungen kommen und gehen, überlebte Militärputsche und diente vielen Finanzministern. Die Bank war sein Fixpunkt, selbst seine Ehefrau lernte er hier kennen. Und jetzt sollte er alles gefährden?

Während die Nacht über Bangkok hereinbrach und die meisten Banker längst zu Hause waren, „bewegte uns alle nur noch eine Frage: Wie können wir den Baht verteidigen?“ berichtet Vizegouverneur Siri Ganjarerndee über die Krisenrunde.
Immer dramatischer wurden die Meldungen aus der Devisenabteilung. In London, hieß es, boten Trader den Baht in größeren Mengen zum Verkauf an: Für „10 Dollar“, „20 Dollar“ oder gar „50 Dollar“ – was in ihrer Kürzelsprache für 10 Millionen, 20 Millionen oder 50 Millionen Dollar steht.

Gewährsleute auf dem Währungsmarkt, eine Art Zentralbank-Geheimdienst, riefen aufgeregt in der Bangkoker Zentrale an: Einige Händler würden Gerüchte streuen, Thailand gebe bald auf, die Dollar-Bindung falle schon in Kürze. Ein alter Trick, glaubte Rerngchai, mit dem Spekulanten Stimmung gegen den Baht schürten – aber in dieser Lage war das Gerücht gefährlich.Noch waren im Markt überwiegend britische und US-Banken aktiv, so sahen es die Notenbanker an ihren Computern: die National Westminster Bank aus London, oder die englische Bank Standard Chartered etwa.

Doch was passiert, wenn in Tokio die ersten Trader ihre Terminals anschalten? Läßt sich die Welle dann noch stoppen? Könnten nicht die befreundeten Notenbanken in Amerika und Europa ebenfalls Baht aufkaufen und so den Absturz der Währung verhindern? Vielleicht reicht ja schon die Ankündigung einer weltweiten Stützungsaktion?

In ihrer Verzweiflung sandten die Thailänder einen Notruf um die ganze Welt: Per Fax baten sie wichtige Zentralbanken in Europa und Amerika um Hilfe.
Die Resonanz blieb karg. Die Bundesbank bat um schriftliche Mitteilung, ob deutsche Banken die Spekulanten unterstützten. Die Amerikaner lehnten eine Intervention von vornherein ab. So sei nun mal der Kapitalismus, da könne man nichts machen, teilten sie dem Notenbankkollegen in Bangkok telefonisch mit.
Doch zu dieser Zeit war niemand bereit, aus der eigenen Dollar-Reserve gegen die Angreifer zu spekulieren. „Es war beängstigend“, erinnert sich Notenbankchef Rerngchai, „wir waren allein in einem großen Spiel gegen ein kleines Land. Sie ließen uns alle im Stich.“

Früh am Morgen, als Asiens Währungshändler ihre Computer einschalteten, gab Rerngchai den Befehl, den Kurs zu stützen. Eine weitere Zunahme der Baht-Verkäufe sollte so verhindert werden. Der Tresor der Bank of Thailand wurde gleichsam geöffnet, die erste Milliarde per Computer in die Schlacht geworfen.
Schon wenige Sekunden später kam die Reaktion. Wie mit einem riesigen Staubsauger saugten die Geldhändler die Dollar von den Konten der Zentralbank. Gebannt starrten die Devisenhändler in Bangkok, die die ganze Nacht an ihren Tischen gewacht hatten, auf die grünen Ziffern, die über ihre Computerbildschirme flackerten und den Wechselkurs des Baht anzeigten.
Immer schneller begann der Kurs zu steigen, die Gefahr schien gebannt. Der Sieg hielt nicht lange. Große Investmentbanken verkauften Baht im Wert von mehreren Milliarden US-Dollar, allein eine US-Bank setzte zwei Milliarden Dollar gegen die Thailänder. Der Kurs, den Rerngchai auf 25,88 Baht für den US-Dollar festgelegt hatte, stürzte bis auf 26,40 Baht. Eigentlich durfte dieser Wechselkurs nur um 0,02 Baht überschritten werden.

Am Nachmittag um halb fünf hatten die Bankiers fünf Milliarden Dollar verpulvert, doch das sollte nicht reichen. Wieder trafen sich die Bankiers zu einer hektischen Sitzung und fällten die fatale Entscheidung, die Währung „ohne jedes Limit“ zu verteidigen. „Meine Leute waren nahe am Zusammenbruch“, erinnert sich Rerngchai. Doch wenige Stunden später war die Zentralbank weitere fünf Milliarden Dollar los.

An diesem Abend herrschte knapp 1500 Kilometer südlich, in Harry’s Bar am Hafenkai von Singapur, Frontstadt-Atmosphäre. Die Metropole am Südchinesischen Meer ist wichtigster Handelsplatz für den Baht außerhalb Bangkoks, die Edelspelunke seit langem ein Treffpunkt der Zocker.
Hier kippte einst der Aktienprofi Nick Leeson seine Bloody Mary, bevor er 1,3 Milliarden Dollar verspielte und schließlich verhaftet wurde. Was an den Bartischen getönt wurde, so ein Augenzeuge, ließ für die nächste Woche nichts Gutes ahnen.

„Sturmreif schießen“ wollte ein Händler die Thailänder, ein anderer prophezeite eine „große Schlacht“. Spekulanten und Investmentbanken würden so lange angreifen, bis den Thailändern die „verdammten Dollars“ ausgehen.
Viele hier hatten in den vergangenen Monaten mitbekommen, wie mächtige New Yorker Geldmanager wie Goldman-Sachs-Chef Jon Corzine den Baht als Ziel fixieren ließen. Den Amerikanern schien Thailand als der schwächste Tiger, dem bald die Luft ausgehen sollte.

Schon im August 1996 hatte der Ökonom Jeph Gudznik, der mehrere US-Spekulanten berät, in einem vertraulichen Bericht an seine Klienten prophezeit, daß die thailändische Zentralbank die Währung nicht mehr lange stützen könnte.
Im Februar waren Bangkoks Nobelhotels belegt mit Abgesandten aus dem New Yorker und Londoner Geldhandel. Führende Spekulanten hatten Emissäre vor Ort geschickt, die den Gegner taxieren sollten.

Am 14. Februar, in den USA der Valentines Day, ein Feiertag der Liebe, attackierten US-Investmentbanken die thailändische Währung schon mal mit kleinen Verkaufsschüben. Die Zentralbank mußte rund zwei Milliarden Dollar zur Verteidigung einsetzen. In den Währungsabteilungen der mächtigsten Banken gerieten die Manager allmählich in Jagdstimmung.

Für die große Attacke schien es ihnen noch zu früh, erinnert sich der Devisenspezialist einer großen US-Bank in Hongkong: „Um eine Institution wie die Bank von Thailand in die Knie zu zwingen, muß man sie ganz hart stoßen.“
Dazu starteten die Händler zunächst eine Art Propagandaoffensive. Investmentbanken und Fondsmanager verbreiteten Berichte, in denen sie die Zukunft Thailands in düsteren Farben schilderten.
Sie stuften die thailändischen Aktien herab. Sie verwiesen darauf, daß die Politiker korrupt und unfähig seien. Und mit jeder neuen Depesche in ihren Analystenreports wuchs die Verachtung für „die Kerle in Bangkok“, wie Rerngchais Truppe in der Szene hieß.

Es waren ungleiche Gegner, die da aufeinanderprallten. Die Bank von Thailand ist ein Hort buddhistischer Friedfertigkeit. Die oberste Geldbehörde des Landes beschäftigt rund 5000 Mitarbeiter, gilt als Staat im Staat, mit fast grenzenloser Macht: Regierung und Volk schenkten den Währungshütern blindes Vertrauen. Mit ihrer Kriegskasse von fast 40 Milliarden Dollar, so glaubte man, würden sie jeden Angriff abwehren – eine Fehleinschätzung.

Die Gegner waren einfach zu mächtig. Sie kommandieren sogenannte Hedge-Fonds, Bastionen eines rauhen Individualismus, mit guten Chancen auf das große Geld: „Hedge-Fonds-Manager zu sein ist besser als Rockstar oder Profisportler“, sagt Byron Wien, Ökonom der US-Investmentbank Morgan Stanley: „Es ist fast zu gut, um wahr zu sein.“

Es sind elitäre Clubs von ein paar hundert reichen privaten Investoren, von Banken und Versicherungen, die sich nicht selten mit mindestens fünf bis zehn Millionen Dollar am Fonds beteiligen müssen. Sie sind die mächtigsten, aber auch die verschwiegensten Akteure im Geldgeschäft – kontrollieren kann sie so recht niemand. Ihre Büros liegen in London, New York oder an den Ufern des Long Island Sound, aber einen Großteil ihrer Finanzmacht haben sie auf exotischen Inseln wie den Caymans, Antigua oder Jersey versteckt. Ihre Ziele sind oftmals Aktien oder Währungen, bei denen sie mit einem Kursabsturz rechnen, um daran zu verdienen – indem sie die Papiere „short“ verkaufen.
Obwohl Hedge-Fonds-Manager Individualisten sind, habe es beim Angriff auf den Baht, so berichten Manager deutscher, britischer und amerikanischer Banken in Bangkok übereinstimmend, zumindest am Anfang so etwas wie ein geheimes Einverständnis in der Szene gegeben.

Ein Broker aus Bangkok mit guten Kontakten zur Wall Street sagt, er habe unmittelbar vor der ersten Attacke Anrufe aus New York bekommen. US-Investmentbanken und führende Hedge-Fonds wollten die thailändische Währung angreifen. Schon bald könne es losgehen.

Und es ging mächtig los. Bereits seit dem 8. Mai hatte es kleinere Attacken gegeben, nach dem 13. Mai wuchs die Allianz der Spekulanten schlagartig. „Es war, als ließe jemand Blut in ein Haifischbecken strömen“, sagt ein Londoner Devisenhändler.

Bangkoks Polizeichef jagte seine Truppen in ausländische Brokerhäuser, die im Verdacht standen, mit Gerüchten die Spekulation anzuheizen. Finanzaufseher machten Druck auf Banken, die Hintermänner der größten Baht-Verkäufer herauszurücken. Als das nicht half, führte Notenbanker Rerngchai seine schwerste Waffe ins Feld: Am 15. Mai zwang er die Geldinstitute in Bangkok, keine thailändische Währung mehr an Ausländer auszugeben.
Die Order sorgte für Wut und Panik unter den Spekulanten. Angelockt von dem Verkaufssturm und der Aussicht auf schnellen Gewinn, hatten viele Zocker Baht gegen Dollar verkauft – ohne die thailändische Währung schon in den Händen zu halten.

Als sie wenige Tage später ihre Verpflichtungen aus den Tauschkontrakten erfüllen mußten, kamen sie plötzlich nicht an die Thai-Währung heran. Die Zinsen für den Baht schossen auf über 1000 Prozent, der Wechselkurs jagte in die Höhe, statt zu sinken – wer kurzfristig spekuliert hatte, verlor Millionen.
In den Trading-Floors der Banken in Singapur schrien Chefs ihre Geldmanager an, die sich leichtfertig in den Baht-Handel gestürzt hatten. Der von dem Großspekulanten George Soros an die Front geschickte Stanley Druckenmiller fluchte: „Sie treten uns in den Hintern.“

Einige besonders clevere Spekulanten begannen, ihre Genossen auszunehmen. Weil sie sich rechtzeitig mit genügend Baht eingedeckt hatten, liehen sie Millionen der knappen Währung an in Not geratene Zocker – und verdienten an den Zinsen.

In den nächsten Wochen versuchten Spekulanten, auf allen erdenklichen Wegen die Blockade zu umgehen. Der thailändische Zoll griff Geldboten auf, die Landeswährung kofferweise ins Ausland schmuggeln wollten. Einige Unternehmen ließen sich auf Scheingeschäfte ein und zahlten Baht auf fingierte Rechnungen.

US-Investmentbanken wollten es besonders trickreich anstellen und begannen, Geld durch die Börse zu schleusen. Der Plan nutzte eine Lücke in Rerngchais Verteidigung: Wer in Bangkok thailändische Aktien kaufte, konnte sie in Dollar bezahlen. Verkaufte er die Aktien wieder, konnte er sich den Erlös in Baht auszahlen lassen – die Börse als Wechselstube.

Am 10. Juni war Bangkoks Börsenhandel auf das Dreifache der normalen Menge angeschwollen. Broker hatten Aufträge von Ausländern, Aktien zu kaufen und gleich wieder zu verkaufen. Millionen Dollar wurden so in Baht getauscht. Wenig später stopften die Zentralbankiers auch dieses Schlupfloch.
Nach außen sah es so aus, als behielte Rerngchai die Oberhand, doch der Bankier wußte, daß seine Tage gezählt waren. Der Krieg hatte nämlich längst auch die Bevölkerung in Thailand nervös gemacht – eine Massenflucht aus dem Baht begann. Niemand konnte den Ausverkauf der eigenen Währung jetzt noch stoppen.

Banken, Firmen und Privatleute versuchten, ihre Vermögen in Dollar oder Yen zu retten. Die Zentralbank verlor bis zu einer halben Milliarde Dollar am Tag. Ende Juni waren die Reserven fast aufgebraucht.

„Wir werden niemals unsere Währung abwerten“, rief noch am letzten Juni-Wochenende ein trotziger Thai-Premier Chavalit Yongchaiyudh; wenige Tage später, am 2. Juli, mußte Notenbankchef Rerngchai den Wechselkurs freigeben.
Vielen Thais gilt ihre Zentralbank nun als Versager, deren Devisenhändler als Verbrecher. „Wir sollten sie umbringen“, schimpft der Chefredakteur des Blattes „The Nation“, „niemals hätten sie das Geld verpulvern dürfen.“
Rerngchai mußte schon bald nach der Baht-Freigabe seinen Posten räumen. „Es war ein Unglück für das Land, daß Rerngchai Gouverneur war“, hielt die Untersuchungskommission fest. Der Entlassene nutzt seine Zeit für buddhistische Studien und um seine Tochter in Australien zu besuchen.
Ungern erinnert er sich an jenen Abend, als alles begann. „Diese Attacke war unfair“, sagt Rerngchai bitter und blickt von seiner Terrasse auf den Fluß, wo am anderen Ufer die Silhouette der Bank von Thailand aus dem Dunst ragt: „Sie waren einfach zu stark für uns.“

Mathias Müller von Blumencron, Wieland Wagner (Der Spiegel)

 

„Noch schmutzig vom Reisfeld“

Abends gegen acht, wenn das Geschäft in Bangkoks Go-go-Bars und Massage-Salons allmählich auf Touren kommt, macht sich Nati Anukan auf den Weg. Er streift durch Pulks amüsiersüchtiger Touristen im Rotlichtviertel Patpong, vorbei an Bars, in denen sich Thai-Mädchen in Badeanzügen an Metallstangen räkeln.Natis Ziel sind die Ecken, an denen er die Verletzlichsten im Sexgeschäft trifft – Kinder und Jugendliche. Der Sozialpädagoge arbeitet als Streetworker für die gemeinnützige „Stiftung für ein besseres Leben der Kinder“ – eine von etwa 30 privaten Hilfsorganisationen in der thailändischen Hauptstadt, die gegen Kindesmißbrauch und Kinderelend kämpfen.

Auf seiner Tour versucht Nati, 26, den Kids von Patpong ein Stück Kindheit zu geben. Er hilft ihnen, wenn sie krank sind, spielt und redet mit ihnen in dem nahe gelegenen Lumphini-Park.

Im Fast-food-Laden an der vierspurigen Silom-Road, wo der Verkehrslärm ins Trommelfell schneidet, trifft er Ghey. Sie hat einen freien Tag und treibt sich mit Freundinnen herum.

Ghey ist 13 Jahre alt und arbeitet als Animiermädchen in einer Sexbar für Ausländer. Sie muß nett sein zu den fremden Männern, sie zum Trinken ermuntern, schwere Hände auf ihren Hüften dulden. Wenn ein Gast sie gegen Bares an der Theke „auslöst“, gehört sie ihm die ganze Nacht.

Nach ihrem Alter fragen die Freier nur manchmal. „Ich sage ihnen die Wahrheit“, behauptet Ghey, „einige lehnen dann ab, aber viele sagen: Kein Problem.“ Weil sie so jung ist, zahlen die meisten Fremden sogar Spitzenpreise, mitunter 170 Mark für eine Nacht. Dafür muß ein Hausmädchen einen Monat arbeiten.

In den Bars hat Ghey gelernt, ihre Gefühle zu verbergen. Unterm Tisch versteckt sie die linke Hand mit den abgekauten Fingernägeln. Auf dem Tisch liegt die rechte mit den schönen, langen Nägeln. Ihren 13. Geburtstag feierte sie noch zu Hause. Mit ihrer Mutter ging sie in den nahe gelegenen Tempel, um den Mönchen selbstgekochtes Essen zu bringen. Das ist buddhistische Tradition und bringt angeblich Glück.

Ein entleertes Ritual – wenige Tage später lief Ghey weg, angestiftet von einer älteren Freundin. Thailands rasantes Entwicklungstempo mit immerhin noch fast acht Prozent Wirtschaftswachstum hat die alten Werte einer noch immer überwiegend bäuerlichen und armen Bevölkerung durcheinandergewirbelt. Am neuen Wohlstand des Landes, bisher den oberen 20 Prozent vorbehalten, wollen alle teilhaben. Die Kinder müssen mitverdienen, notfalls auf dem Strich. Zuhälter locken sie häufig mit falschen Versprechungen in die Stadt, manchmal werden sie von den eigenen Eltern verkauft. Das traditionelle Familiengefüge zerfällt, etwa durch Arbeitslosigkeit. Auch Gheys Vater hockt nutzlos zu Hause herum, die Mutter verkauft Papayas am Straßenrand.

„Der Vater sagte, wir müssen das Land verkaufen, die Mutter sagte, wir nehmen die Kinder von der Schule“, heißt es in einem thailändischen Popsong, „sie wollte Jeans tragen und konnte noch nicht mal richtig lesen und schreiben. So verlor sie ihre Unschuld, die Füße noch schmutzig vom Reisfeld.“

Das Lied hat der Oberst Surasak Suttharom geschrieben, für Mädchen wie Ghey. Vom Erlös seiner Musik-CD mit thailändischen Popstars werden Schulstipendien finanziert.

Surasak, Chef einer 40köpfigen Spezialeinheit, steht für den Teil der thailändischen Polizei, die energisch gegen die Kinderprostitution kämpft. Seine Beamten machen Razzien im Rotlichtviertel und befreien Kinder aus Bordellen.
Wegen Mißbrauchs minderjähriger Mädchen wird meist gegen Thai-Männer ermittelt. Daß sich jedoch auch immer mehr Jungen prostituieren, so ein Ermittler, hänge vor allem mit dem Sextourismus zusammen.

Oft stoßen Fahnder auf ihre eigenen Kollegen – den anderen Teil der Polizei, der das Geschäft mit dem Kindersex heimlich fördert. Manche Polizisten etwa kassieren von Barbetreibern Schutzgeld nach Mafia-Art. Helfer finden Polizeioberst Surasak und seine Task Force vor allem bei den örtlichen Hilfsprojekten, mit denen er eng zusammenarbeitet, etwa dem Bangkoker Kinderschutzzentrum CPCR.

Hat die Polizei Hinweise auf Minderjährige in einem Nachtklub, gehen CPCR-Mitarbeiter getarnt als Kunden in die Bars, hören sich um, sammeln Beweise. Dann langt die Polizei zu. So wurden im letzten Jahr fünf junge Mädchen mitten in der Show aus einer Bar in Patpong befreit. Sie kamen in eines der Schutzhäuser von CPCR auf der anderen Seite des Flusses im Stadtteil Thonburi.
Hinter dem hohen Eisentor in einem kleinen Haus mit idyllischem Innenhof leben mißbrauchte Kinder für einige Monate in Sicherheit. Auf ihren Betten türmen sich Stofftiere – sie haben viel Kindheit nachzuholen. In dieser Zeit versuchen Betreuer herauszufinden, welcher Beruf den Kindern Spaß machen könnte, und helfen, einen Ausbildungsplatz zu finden. „Ein großer Teil unserer Arbeit“, sagt eine Psychologin, „besteht darin, den Kindern Selbstbewußtsein zu geben.“

Viele der Mädchen wurden aus armseligen Thai-Bordellen im Norden befreit. Wie Tiere werden die Prostituierten dort mitunter in enge Zellen gesperrt, wo sie auch die Freier erdulden müssen.

Doch etliche Hilfsversuche schlagen fehl. Kürzlich tauchten die befreiten Mädchen aus Patpong wieder auf – zurück im Rotlichtviertel.
Trotzdem glauben CPCR-Mitarbeiter, daß mehr als die Hälfte der betreuten Mädchen den Ausstieg schaffen. „Das Problembewußtsein ist zwar da“, sagt dagegen Amihan Abueva von der Organisation „End Child Prostitution in Asian Tourism“ (ECPAT), „aber solange wir die Ursachen nicht beseitigen, wird sich nichts ändern.“

Einer dieser Gründe ist die fehlende Ausbildung. Wie bei Ghey kümmert sich in Thailand kaum einer darum, wenn ein Kind plötzlich nicht mehr zur Schule kommt. Einer Studie zufolge waren ein Viertel der Frauen in der Sexindustrie nie auf einer Schule, ein weiteres Viertel hat die Grundschule nicht beendet.
Ghey hätte noch eine Chance, wenn sie nach Hause zurückginge. Sieben Jahre ging sie zur Schule, immerhin schon mehr als die meisten anderen in Patpong. Doch bisher kann sie damit allenfalls Hausmädchen oder Fabrikarbeiterin werden, schätzt Nati. Der Streetworker hat schon viele gesehen, die wieder auf den Strich zurückkamen – wegen des Geldes.

Von Annette Großbongardt (Der Spiegel)

Sollten Sie eigene Beobachtungen machen, schauen Sie bitte nicht weg, sondern wenden Sie sich bitte an diese Stelle:

Bundesamt für Polizei Fedpol

 

Akkord im Dschungel

Mit Drogen gedopt, schlecht ernährt und geschunden – Thailands Arbeitselefanten sterben aus…

Eines Morgens verweigerte Yuyi den Dienst. Statt wie sonst rege hin- und herzuwandern, blieb er apathisch liegen. Kurze Zeit später war er tot. Die Obduktion ergab, daß Magen und Leber des zweijährigen Elefanten durch falsche Ernährung schwer entzündet waren. „Ich konnte ihm nicht helfen“, bedauert der Veterinär Sittidet Mahasavangkun.

Yuyi wurde Opfer seines Berufs. Zu früh von der Mutter getrennt, mußte das Elefantenkind vor dem Sheraton-Hotel im thailändischen Ferienzentrum Phuket Touristen begrüßen. Die Gäste waren entzückt, doch Yuyi ertrug seine rüsselschwenkende Rolle nicht lange. Vereinsamt und nicht ausreichend mit Muttermilch, Bananen und Zuckerrohr gefüttert, brach er zusammen.
Das Tier starb im Elefanten-Hospital von Lampang, der einzigen Institution dieser Art in Südostasien. Das von dem privaten Verein „Freunde des asiatischen Elefanten“ und von der Uno-Ernährungsorganisation FAO unterstützte Krankenhaus pflegt seit 1995 im Norden Thailands sieche, verletzte und verstoßene Dickhäuter.

Pepsi ist der derzeit schwerste Fall. Der fünfjährige Bulle leidet an einer unbekannten Nervenkrankheit in den Beinen und kann sich nicht mehr aufrichten. Um Druckstellen zu verhindern, hängen ihn Helfer jeden Tag für einige Stunden mit einem Seilzug in zwei Schlaufen.

Dennoch ist die Haut entzündet, das Desinfektionsmittel läßt die Schwären violett schimmern. Morgens und abends spritzt Sittidet mit einer riesigen Kanüle mehrere hundert Milligramm Antibiotika in Pepsis faltigen Leib. Hoffnung hat der Arzt nicht: „Ich kann ihn nicht heilen, er wird sterben.“

Das Hospital in Lampang ist symptomatisch für den Notstand der Elefanten in Asien. Weil die Waldgebiete vielerorts Staudämmen, Industrieanlagen, Kautschuk- und Eukalyptusplantagen weichen müssen, schwindet der Lebensraum der Dickhäuter; nur noch rund 45.000 existieren in Asien. In Thailand leben etwa 4000 gezähmte Arbeitstiere und 1500 wilde Elefanten, schätzt Richard Lair, der für die FAO eine Bestandsaufnahme macht.

Zur Jahrhundertwende gab es allein im damaligen Siam 100.000 Arbeitselefanten. Noch heute werden Dickhäuter in Indien, Burma, Laos, Vietnam und Nepal als Last- und Zugtiere eingesetzt. Elefanten können selbst im unwegsamen Gelände bis zu drei Tonnen schwere Lasten ziehen. Gut trainiert, hören sie auf über 30 Kommandos ihrer Führer („Mahouts“).
Für die Besitzer sind die Anfangsinvestitionen groß: Bevor ein junger Elefant ausgebildet ist, müssen er und seine Mutter mehrere Jahre durchgefüttert werden. Die Arbeit mit Bullen ist zudem nicht ohne Risiko. Erst jüngst trampelte einer in Takua seinen Mahout zu Tode, weil er sich beim Werben um eine Kuh gestört fühlte.

In 15 Jahren, fürchtet Sittidets Kollege Preecha Puangkam, werden die Elefanten in Thailand ausgestorben sein. Preecha ist ein erfahrener Veterinär, der sich vor allem um die elf Elefanten des Königs Bhumibol kümmert. Wegen ihrer hellen Haut wird diesen Tieren eine mystische Kraft zugeschrieben. Königin Maya, die Mutter Buddhas, soll während ihrer Schwangerschaft von einem weißen Elefanten geträumt haben. „Hunderte von Jahren haben die Menschen Elefanten als Freunde behandelt. Heute ist diese Beziehung zerbrochen“, klagt Preecha.

Die meisten Arbeitselefanten schleppen illegal geschlagene Edelhölzer aus den Wäldern im Norden Thailands. Immer in Furcht vor Entdeckung, treiben die Mahouts die Tiere zu Höchstleistungen in kürzester Zeit an – Akkordarbeit im Dschungel. Deshalb mischen die Reiter nicht selten Amphetamine in die Nahrung der Tiere, was aber nur kurzfristig wirkt. „Sie sind schwach und zittern am ganzen Körper“, beschreibt Veterinär Sittidet die Symptome der gedopten Elefanten.

Der Mediziner muß häufig ausgelaugte oder süchtige Tiere versorgen. Eine Entziehungskur sei allerdings einfacher als beim Menschen, sagt Sittidet: „Viel Vitamin B und eine Menge Futter. Nach einigen Tagen ist er wieder clean.“
Jährlich gehen rund 200 Tiere an der Schinderei zugrunde, mutmaßt FAO-Experte Lair. Selbst wenn die Polizei das Abholzverbot energischer durchsetzte, würde sich das Schicksal der Elefanten kaum verbessern.

Um rund 30.000 Baht (1800 Mark) im Jahr für das Futter aufbringen zu können, sehen viele Mahouts keinen anderen Ausweg, als mit ihren Tieren in die Städte zu ziehen. In Bangkok trampeln über 40 durch den dichten, abgasgeschwängerten Verkehr. Die Halter profitieren vom Aberglauben der Städter: Einen Elefanten gegen den Uhrzeigersinn zu umrunden soll Glück bringen. Das lassen sie sich etwas kosten.

Der Aufenthalt in den großen Städten ist zwar verboten, doch die Polizisten kassieren meist nur eine kleine Strafe und schicken die Eindringlinge dann zu den Kollegen in den nächsten Bezirk weiter – in der Hoffnung, daß sie bis dahin nicht, etwa durch lautes Hupen erschreckt, Amok laufen.

Eine ungewisse Zukunft steht auch dem von seiner Mutter verstoßenen Baby Umpang bevor, das Helfer im Hospital von Lampang derzeit liebevoll mit Trockenmilch und Bananen päppeln. Später soll es im Trainingszentrum für Elefanten neben dem Hospital lernen, Baumstämme zu ziehen, zu schieben und zu heben. Aber wenn Umpang das dann kann, wird es wohl keine Arbeit für ihn geben.

Quelle: Der Spiegel

 

Am Ende des Weges

Unweit der thailändischen Provinzhauptstadt Lop Buri, rund zwei Autostunden nördlich von Bangkok und abseits der Touristenrouten, führt ein heftig aufstaubender Fahrweg zwischen abgeernteten Maisfeldern hindurch bis zum Fuß des Khaosamjod-Gebirges und endet dort in einer unscheinbaren Klosteranlage.

Von der Landstraße aus ist die Ansammlung schmuckloser Häuser und Hüttchen ebensowenig zu sehen wie der Tempel, der das Areal vom angrenzenden Hang aus überragt. Kein Hinweisschild markiert den Beginn der Piste zu dem Kloster, und selbst wer dessen Namen kennt und sich nach dem Wat Prabat Nampu erkundigt, wartet oft vergebens auf Auskunft.

Und doch genügt, um die kleine Siedlung zu finden, ein einziges Wort, klar und deutlich ausgesprochen: Aids.

Dann weiß jede Marktfrau, jeder Garkoch in der Gegend, welcher Ort gemeint ist, und zeigt kommentarlos oder mit zweideutigen Gesten zwischen Scheu und Abscheu in die gefragte Richtung.

„Da wohnt der Tod“, raunen die Leute in den umliegenden Dörfern und wenden sich voll Argwohn ab. Das Kloster am Ende des Weges ist ebenso berühmt wie berüchtigt, seit Aids-Kranke aus dem ganzen Land dort ihre letzten Tage verbringen.

Doch nicht das Verenden hinfälliger Menschenkörper macht das Wesen dieses Ortes aus, sondern das Sterben als Schlußakt des Daseins, jener bewußt erfahrene Lebensabschnitt vor dem Abtreten, wenn die Pläne allmählich kleiner werden, die Hoffnungen aber nicht.

In dem buddhistischen Hospiz finden Menschen ihre letzte Ruhe, deren Schicksal sich irgendwann im Gestrüpp aus Sextourismus, Prostitution und Drogensucht verfangen hat oder die durch Liebe, Ehe oder Gewalt unglücklich da hineingeraten sind. Hier laufen Lebensgeschichten zusammen, die jede auf ihre Weise den Beginn einer Katastrophe beschreiben: Thailand, das gastfreundliche „freie Land“ mit großer Zukunft, hat sich mit HIV angesteckt und ist dabei, an Aids zu erkranken.

Auf dem Klostergelände, das nicht größer ist als zwei Fußballfelder, wohnen um die 80 Personen, überwiegend Männer, unter ihnen etwa 10 Mönche. Die Zahlen schwanken, wegen der täglichen Zu- und Abgänge. Bei allen lassen sich Antikörper gegen das als Aids-Virus bekannte HIV nachweisen – ausgenommen der Abt, sein Stellvertreter und ein weiterer Mönch.

Ende letzten Jahres gab es zum erstenmal Zuwachs durch Nachwuchs, als die 25jährige Tam Lond ein Baby zur Welt und ein klein wenig Zukunft an diesen Ort der Vergänglichkeit gebracht hat. Während die Mutter noch keine Symptome jenes vielfältigen Leidens aufweist, das mit „Immunschwäche“ nur unzureichend beschrieben ist, weiß Vater Bra Sit, 24, daß sein Sterben bereits begonnen hat. Er fürchtet sich nicht vor dem Tod, sagt er, und doch treibt ihn die Angst um, in Ungewißheit über die Zukunft seiner Tochter sterben zu müssen.

Da seine Frau schon vor Jahren alle Kontakte zu ihrer Familie abgebrochen hat, ruhen Bra Sits Hoffnungen allein auf seinen Eltern. Würden sie das Mädchen zu sich nehmen, wenn er schon nicht mehr wäre? In einem Brief hat er sie gebeten, ihn zu besuchen. Seit sie zugesagt haben, strahlt sein Antlitz fast wieder so, als hätte sich das Leiden nie in seinem Organismus eingenistet.

Wer wie Bra Sit noch selbst essen kann und gehen, die Toilette benutzen und sich waschen, lebt in einer der schlichten Hütten, die den Rand des Areals säumen. Die meisten Bewohner teilen sich zu zweit einen Raum von knapp zehn Quadratmetern. Sie stehen noch oben auf der nach unten ausgerichteten Hierarchie des Sterbens.

Pflegefälle kommen in die kleine Krankenabteilung des Klosters, deren 20 Betten durchweg belegt sind. Für fast alle hier ist die Station eine Art Einbahnstraße durch den letzten Rest Leben. Liegen die weniger Pflegebedürftigen noch in den Betten vorn am Eingang, dann rücken sie mit abnehmender Lebenskraft immer weiter Richtung Hinterausgang, wo täglich neue Särge angeliefert werden. Erreichen sie das Ende der Bettenreihe, rücken sie ins Blickfeld der Krankenschwestern und freiwilligen Helfer. Dort sterben sie schließlich, im Durchschnitt ein bis zwei Menschen pro Tag.

Anders als im Hospital, wo Medizin Leben, aber auch Leiden verlängert, soll im Hospiz Leid verringert und Sterben erleichtert werden. Ein paar Schmerzmittel, Hautsalben, Allerweltsantibiotika, Infusionen gegen Verhungern und vor allem Verdursten, Sauerstoff gegen das grausame Ersticken.
Jeden Morgen zieht Duft von Eukalyptus durch den Saal: wenn sich Patienten selbst oder gegenseitig zur besseren Durchblutung die Glieder mit einer dampfenden Kräutermixtur nach traditionellen Rezepten einreiben.
Im letzten Bett der Station liegt Rattana. Sie ist 45 Jahre alt geworden und wäre gern im Kreise ihrer Familie gestorben. Doch ihr Mann hat das nicht gewollt. Vor ein paar Wochen, als es bergab ging mit ihr, hat er sie hierher gebracht. Er sah seine Stellung als Regierungsbeamter gefährdet, falls die Nachbarn von der Krankheit seiner Frau erführen. Jeder hätte ja gewußt, daß sie sich ihr Aids nur bei ihm geholt haben konnte.

Er selbst hat es wahrscheinlich aus einem Bordell. Solange ihn aber keine Symptome verraten, will er das Bild vom treuen, fleißigen und gesunden Familienvater aufrechterhalten. Den Kindern hat er erzählt, die Mutter sei krank und müsse ihr Leiden in einer speziellen Klinik auskurieren.

Das gespaltene Verhältnis vieler Thai zur Prostitution – sie ist offiziell verboten, gleichwohl so verbreitet wie in kaum einem anderen Land – setzt sich nahtlos fort im Verleugnen der Aids-Problematik: Als seien all jene zu strafen, die durch ihr Leiden und Sterben die Doppelmoral öffentlich machen, gelten Aids-Kranke vielerorts als Unberührbare. So stranden im Wat Prabat Nampu zum Großteil Heimatlose, die hier eine Zuflucht suchen, keine Zukunft.

Mit nichts als einem Koffer kommen sie an, einer kleinen Tasche, manche sogar mit leeren Händen – man braucht so wenig zum Sterben. Nur ein paar werden von Freunden oder Verwandten gebracht, die meisten kommen allein. Sie kommen per Taxi oder Rikscha, einige zu Fuß, manche sind so schwach, daß sie gestützt werden müssen oder getragen.

„Eine Endstation“ sei das, erklärt Bra Sit. So, wie er das sagt, hat er mehr als nur einen Ort im Sinn. Er beschreibt auch einen Gemütszustand, der Reisende mitunter beim Erreichen ihres Zielbahnhofs befällt: Diese Station kann ich nicht verpassen, der Zug endet hier. Es gibt nur Ankommende, eine Art Schicksalsgemeinschaft, und ich kann mir Zeit lassen beim Verlassen des Abteils.

Als Rattana noch klar war und wach, hat manchmal eine junge Mitpatientin bei ihr gesessen, ein heruntergemagertes Mädchen mit hübschem Lächeln, das Besuchern seinen Namen nicht nennt und das sein Gesicht in Kissen vergräbt, sobald ein Fremder es anspricht: eine der Prostituierten im Hospiz.
So sehr schämen sie sich ihrer Schande, daß sie sogar hier die Öffentlichkeit scheuen. Stundenlang hat die Frau Rattana ihr Leben gebeichtet, und Rattana hat ihre eigene Geschichte dagegengehalten – oder einfach nur zugehört.
Man braucht so wenig zum Sterben – und doch so viel für das letzte Stück Leben: Beistand und vielleicht eine Ahnung vom Sinn.

Das Hospiz bietet so etwas wie eine Selbsthilfegruppe mit Generationenvertrag: Ich helfe anderen, denen es schlechter geht, weil bald ich es bin, dem es schlechter geht, und mir dann andere helfen. Und das in einer Dorfgemeinschaft mit Freund- und Nachbarschaften, einem kleinen Laden, einem Tempel und den dorfüblichen Hunden und Katzen mit ihrem dauernden Gezänk und Gezeuge.
Es gibt gemeinsame Mahlzeiten und Meditationen, religiöse Rituale wie das allmorgendliche Beschenken der Mönche mit Almosen, ein wenig Spiel und Bewegung, Yogaübungen und die Lehre Buddhas mit dem Prinzip Wiedergeburt auf dem Weg zum Nibbana, das in Sanskrit Nirwana heißt.

„Vor deinem letzten Atemzug wirst du einen Traum haben“, hat Bruder Som Tschai der sterbenden Rattana erklärt, „darin wird dir erzählt, wohin du nach deinem Tod gelangen wirst.“ Nie sei es zu spät, sich vom Übel zu befreien.
„Was immer dir im Leben zugefügt worden ist, noch dein letzter Gedanke kann es aufwiegen.“

So wollen die Mönche den Kranken eine Haltung näherbringen, die sogar dem Lebensende etwas Versöhnliches geben kann und die wohl keine Sprache so fest im Miteinander der Menschen verankert hat wie das Thai. Widerfährt ihnen Unglück, sagen die Thai leichthin: „Mai pen rai“ – was mit „macht nichts“ oder „halb so schlimm“ nur leidlich übersetzt ist, drückt es doch viel mehr aus als Großmut und Nachsicht. „Mai pen rai“ ist eine Art Kurzformel, um einen Teil thailändischer Mentalität zu verstehen: Ich vergebe, auch ohne darum gebeten zu werden.

Durch solch bedingungsloses Verzeihen sollen Aids-Kranke, die an ihrer Lebensbilanz verzweifeln, einen Weg aus dem Irren zwischen Schuld und Sühne finden.

Rattana hat ihrem Mann vergeben. Sie würde es ihm gern noch sagen, damit er es auch ganz sicher weiß und sie ohne die Last des Vorwurfs gegen ihn ihre Augen endgültig schließen kann. Es muß die Kraft dieses Wunsches sein, die ihr Lebensflämmchen weiterhin nährt.

Schon seit Tagen nimmt sie keine Nahrung mehr zu sich. Nun trinkt sie auch nicht mehr, was das ohnehin schon Greisenhafte ihrer Erscheinung bis ins Groteske verstärkt. Die Lebensäußerungen beschränken sich auf gelegentliches Öffnen der Augen, einen Rest kraftlosen Atmens und auf ein kaum wahrnehmbares Wimmern, wenn die Windel gewechselt und ihr wundgelegener Rücken mit Salbe versorgt wird.
Als sie sich ins letzte Bett gelegt hat, ist ihr Mann benachrichtigt worden. Nun steht er bei ihr, nimmt ihre Hand und spricht sie an: „Rattana, Rattana.“ Sie öffnet die Augen, doch gleich senkt sie wieder ihre Lider und schläft ruhig ein. Schweigend nimmt er Abschied.

Vorsorglich hat er einen schlichten, mit Goldbeschlägen verzierten weißen Sarg anfertigen lassen: Abschiedszeremonie und Einäscherung sollen im Familienkreis stattfinden. Die meisten Verstorbenen werden von ihren Familien nicht einmal im Tod wieder aufgenommen. Verabschiedet werden sie dann von Mönchen und Mitpatienten in einer lichterfüllten Kapelle, die gleich hinter der Pforte des Klosters auf einem Hügel liegt.

Anstelle der Angehörigen überreichen den betenden Brüdern nun die letzten Begleiter des Toten symbolhafte Geschenke – eine letzte Geste voller Würde und Versöhnlichkeit. Im Wechselspiel erwidern sie deren tiefkehlig gestimmten, monotonen Sprechgesang: „Geh und kehre nicht zurück, schlafe und wache nicht wieder auf.“

Niemand weint hier, mitunter wird sogar gewitzelt und gelacht. Hell klingen die Gläser, wenn die Abschiedsgäste Eiswürfel in ihre Softdrinks fallen lassen. Keinen stört es, wenn ein kranker Kuttenträger hustet und ausspuckt und das Singen unterbricht. Andacht ist nicht eine Sache von Anstand, sondern ein innerer Zustand. Ein Wollfaden, der vom Sarg aus durch die Hände aller Mönche reicht, symbolisiert eine letzte Brücke zum Leben. Vor der Einäscherung wird die Leiche mit Milch aus einer jungen Kokosnuß bespritzt.

Beinahe täglich, spät am Nachmittag, quillt schwerer Qualm aus dem Kamin des Krematoriums, der sich wie ein Wahrzeichen des Klosters über das Dach der Kapelle erhebt.

Die Asche der Verbrannten wird in weiße Säckchen gefüllt, mit einem Namensschild versehen und den Verwandten zugesandt – falls diese damit einverstanden sind. Doch inzwischen türmen sich die Aschebeutel: Die Mehrheit der Familien ist nicht einmal bereit, sich mit dem letzten Restchen ihrer verstorbenen Angehörigen abzugeben.

Rattanas weißer Sarg wird ins Heck eines Lieferwagens verfrachtet. Währenddessen schleppt sich bereits, von Mitpatienten gestützt, Tscha Nin, 35, zum letzten Bett. Als der junge Greis hochgehievt wird, setzt sich der Kombi mit Rattanas Überresten in Bewegung. Er wirbelt eine lange, dicke Staubwolke auf.
Über denselben staubigen Weg kam vor zehn Jahren ein junger Wandermönch geschritten, allein, mit nichts als seiner braunen Kutte und seiner Schüssel für das morgendliche Betteln um Reis. Sein Name: Phra Atscharn Alongott. An dem kleinen Kloster zu Füßen des Khaosamjod-Gebirges ging er vorbei in die Berge, wo er in Höhlen lebte und meditierte. Nichts deutete damals darauf hin, daß er zehn Jahre später, als Abt eben jenes Klosters, Zeitungs- und Fernsehinterviews geben, den Premierminister empfangen und sogar im Parlament sprechen würde.

Um 1985 war Aids in Thailand kein Thema. Zwar war begonnen worden, Blutproben aus allen bekannten Risikogruppen auf HIV-Antikörper zu testen. Doch noch 1987 erwiesen sich bei nahezu 200.000 dieser Untersuchungen nicht einmal 100 Proben als positiv.

Wer hätte damals prophezeien mögen, daß heute eine Million Thai HIVinfiziert, mindestens 30 000 an Aids erkrankt, bereits etliche tausend daran gestorben – und daß mittlerweile nirgendwo auf der Welt die Zuwachsraten höher sind? Zu sehen war es für alle Seuchenexperten, denen die Lage in anderen Ländern ebenso bekannt war wie die HIV-freundlichen Rahmenbedingungen in Thailand.
Erhebungen zufolge gehen mehr als 90 Prozent der einheimischen Männer regelmäßig zu Prostituierten. Die wenigsten verwenden Kondome. Unter Freiern wie Huren finden sich etliche, die billiges Heroin spritzen und die teuren Nadeln teilen. Die immergeile Bruderschaft Hunderttausender Sextouristen aus Ländern mit – damals – deutlich höheren HIV-Raten speist das Virus unaufhörlich ein in dieses System heilloser Vermengung von Säften durch „body-“ und „needlesharing“.

In dem 1989 geschriebenen Sex-Reiseführer „Käufliche Liebe in Südostasien“ rät der Autor seinen Geschlechtsgenossen unmißverständlich: „Vermeiden Sie es trotz der erhöhten Infektionsgefahr, Präservative zu benutzen. Sie verringern die Lustgefühle.“

Anfänge von Aufklärung seitens der Regierung und vereinzelte Proteste gegen fremdländische Freier gibt es schon 1989: „Feuert eure Torpedos woanders ab“, rufen Demonstranten 8400 amerikanischen Marinesoldaten entgegen, die Ende Januar im Seebad Pattaya, Sexhochburg im Süden von Bangkok, an Land gehen.
Doch Thailand ist längst noch nicht reif für Warnungen und verschläft die Jahre, in denen das sich abzeichnende Desaster noch hätte abgewendet oder zumindest abgemildert werden können. Die sexhungrigen Gäste haben das Land gleichsam als Ganzes angesteckt, woraufhin sich die Viren in ihm vermehrten wie in einem Organismus. Nun ist Thailand auf dem Weg zur aidskranken Nation. Im letzten Jahr war bereits einer von 25 für die Armee gemusterten Männer HIV-positiv und im Mittel 65, in manchen Städten über 80 Prozent der Prostituierten.
Als Bra Sit zum erstenmal mit einer Hure schlief, war er 13 oder 14. Das war Mitte der achtziger Jahre, etwa zu der Zeit, als sich der Wandermönch Alongott in die Berge zurückzog. Für Bra Sit, der ein Jahrzehnt später Zuflucht im Kloster am Ende des Weges finden wird, war es völlig normal, sich nach dem Schulunterricht mit Kameraden im Puff zu verabreden.

Mit 17 verließ er Schule und Elternhaus. Nachdem er in Bangkok kurz als Bote gearbeitet hatte, lockte ihn ein Freund nach Pattaya. Dort würden sie gut bezahlen für Jungen wie ihn: knabenhaft und kräftig, willig und schön.
„Wenn es Nacht wird in Pattaya“, heißt es bis heute in einem Werbevideo für Sextouren nach Thailand, „leert der Teufel noch ein paar mehr Säcke aus.“ Der Film wendet sich an „alleinreisende Herren“, die sich „hier eine Stunde in einem sauberen Bett entsaften“ wollen.

An guten Tagen zehnmal Sex, manchmal sogar noch öfter – jedesmal steckte Bra Sit 20, im Monat 2000 bis 3000 Mark ein. Das Geld ließ er in Bars, verspielte es oder trug es seinerseits zu Prostituierten. Kondome hat er dabei nie benutzt.
Aids war für ihn nur ein Wort, ein knapper Name für ein neues Leiden, an dem damals ohnehin niemand litt. Gegen Geschlechtskrankheiten gab es außerdem Mittel. Sprache war auch nicht so wichtig bei dem Job. Die Kunden spendierten Drinks und luden zum Tanz, sie flirteten, zärtelten, küßten, grapschten. Dann wollten sie ficken, blasen, give me a blow job, fuck me, fuck you. Oder sie sagten einfach nur „love“ und meinten Sex.

Die meisten seiner Freier kamen aus Deutschland. Manche haben ihm später Fotos geschickt. Sie sind das einzige, was ihm geblieben ist aus jener Zeit. Außer den Viren. Der Teufel hatte seinen Sack ausgeleert.
Zu dieser Zeit lebt Wandermönch Alongott noch immer in Höhlen des Khaosamjod-Gebirges. Durch Meditation möchte er sein „gebrochenes Herz“ kurieren, mit dem die Geschichte seines Mönchslebens ihren Ausgang genommen hat. Sie beginnt beim Karrierestreben eines jungen Ingenieurs in Bangkok, der nach mehrjähriger erfolgreicher Arbeit für die Regierung in Australien studieren darf und seine Freundin warten läßt.

Als Alongott zurückkehrt, hat sie seinen besten Freund geheiratet. Er verliert jeglichen Halt, seine Gefühle laufen Amok gegen die Vernunft. Abend für Abend geht er nun in Bars und trinkt, soviel er kann. Dann fährt er volltrunken mit dem Auto heim. Nach seinem fünften Unfall liegt er lange im Krankenhaus. Narben am ganzen Körper und im Gesicht zeugen bis heute von der Selbstzerstörung.
Seine Pflegemutter, die sich um ihn gekümmert hat, als er mit drei Jahren seine Mutter verlor, bittet Alongott, sein Leben radikal zu ändern. Zunächst widerwillig folgt er ihrem Wunsch, besorgt sich eine braune Kutte und wird Wandermönch.

Drei Jahre Wanderschaft, sechs Jahre allein in den Bergen. Leute aus benachbarten Dörfern kommen vorbei, um Meditationen zu lernen, mit deren Hilfe sie Krankheiten heilen wollen. Der oberste Mönch der Provinz bittet ihn schließlich, Abt des kleinen Klosters am Fuße der Berge zu werden. Drei Brüder leben da. Alongott nimmt an.

Bra Sit ist inzwischen krank geworden, hat Durchfall, verliert an Gewicht. Auf die Idee, daß er an Aids leiden könnte, kommt er nicht. Da er sich aber mittlerweile zu schwach fühlt für den Stricher-Job, geht er nach Bangkok zurück und arbeitet wieder als Laufbursche für 200 Mark im Monat.
Wieviel Freiern er dadurch sein eigenes Schicksal erspart hat, gibt die Aids-Arithmetik nicht her. In ihrer Anfang 1995 veröffentlichten Studie „Aids, Sex und Tourismus“ haben Wissenschaftler der Freien Universität Berlin unter anderen auch „schwule Männer als Sextouristen“ in Pattaya nach ihrem Verhalten während des Urlaubs befragt.

Im Durchschnitt hat jeder Befragte während seines Aufenthaltes mit 12 bis 13 einheimischen Männern insgesamt mehr als 40mal Sex gehabt. Noch 1991/92 haben 16 Prozent beim aktiven und 14,3 Prozent beim passiven Analverkehr nie und ähnlich viele nur unregelmäßig Kondome benutzt.
Nur etwa die Hälfte der weitaus zahlreicheren heterosexuellen Bumstouristen haben immer, aber mehr als 30 Prozent nie Kondome benutzt. Die Forscher kommen zu dem Schluß, daß mindestens 10 Prozent „aller in der Bundesrepublik vermuteten jährlichen Neuinfektionen mit HIV“ auf Sextourismus zurückzuführen sind.

Zurück in Bangkok, lernt Bra Sit die um ein Jahr ältere Wäscherin Tam Lond kennen. Er ist der erste Mann in ihrem Leben. Bald ist sie schwanger, die beiden heiraten. Von allen Menschen, mit denen er je Sex hatte, sagt er, ist sie die erste, für die er auch Liebe empfindet.
Dem jungen Abt Alongott trägt sein Ruf als guter Lehrer bald Einladungen zu Vorträgen ein. Regelmäßig reist er nach Bangkok, um Ärzten und Krankenschwestern den Wert von Meditationen für die Medizin näherzubringen. Während eines Vortrages Anfang 1991 meldet sich ein Student mit einer für den Abt völlig überraschenden Frage zu Wort: „Wie können Aids-Kranke in dieser Gesellschaft friedlich leben?“

Bis zu dem Tag hat Alongott von Aids noch nie etwas gehört. Obwohl sich die Regierung um Aufklärung bemüht, ist die Gefahr kaum bis ins öffentliche Bewußtsein gedrungen. Die Leute sind es gewohnt, Probleme erst anzugehen, wenn sie da sind. Was sie nicht wahrnehmen, wollen sie nicht wahrhaben. Während sich vermutlich schon 300.000 Thai mit HIV infiziert haben, sind nicht einmal 150 Aids-Fälle gemeldet worden.

Um mehr über die neue Krankheit zu erfahren, besucht Alongott Aids-Kranke in einem Bangkoker Krankenhaus – und bekommt erste Vorahnungen vom Unheil, auf das sich sein Land zubewegt. Vor allem über die Zustände in der Klinik ist er schockiert: Die Aids-Patienten liegen separiert, niemand kommt zu ihnen, kein Arzt, keine Krankenschwester kümmert sich um sie.
„Da erkannte ich“, erinnert er sich, „daß Aids nicht nur ein medizinisches, sondern vor allem ein soziales Problem ist.“

Er besucht die Klinik nun regelmäßig, redet mit Ausgestoßenen, füttert Kranke, wäscht Siechende. „Ich war der einzige, der diese Menschen überhaupt angefaßt hat.“ Als der erste in seinen Armen stirbt, begreift er, daß die Einsamkeit der Sterbenden schwerer wiegt als all ihr körperliches Leid. Und beschließt, aus seinem Kloster ein Aids-Hospiz zu machen.

Vor gut drei Jahren bringt Alongott den ersten Patienten ins Wat Prabat Nampu, wo mittlerweile acht Mönche leben. Nach weniger als drei Monaten haben sich jedoch alle Brüder aus Furcht vor Ansteckung aus dem Staub gemacht.
Es folgt eine bittere Zeit zu zweit. Mehrfach versuchen Leute aus der Umgebung, ihn samt seinem Pflegefall zu vertreiben. Da sie zudem keine Spenden geben, muß er morgens weite Wege zurücklegen, um genug Nahrung für sich und seinen Patienten zusammenzubetteln. Anfang 1993 ist der Streit mit den Nachbarn beigelegt. Alongott hat den Dorfoberen versprochen, daß kein Kranker ihre Siedlungen betreten werde. Von dort kommen inzwischen sogar Freiwillige, ihm zu helfen. Eine Krankenschwester arbeitet fest bei ihm.

In Thailand sind mittlerweile über 2000 Aids-Fälle registriert. 6 HIV-Positive leben jetzt im Kloster. Im Verlaufe des Jahres kommen etwa 100 weitere, nicht mehr alle können bleiben. Die Kapazitätsgrenzen sind längst erreicht. Neue Hütten müssen gebaut werden. Im Jahr 1994 kommen rund 5000 Kranke, viele im falschen Glauben, hier würde ihr Leiden geheilt. Lediglich 700 werden zugelassen, viele nur einen Monat lang aufgepäppelt und wieder weggeschickt. Bis zum Ende des Jahres sterben im Wat 136 Menschen, unter ihnen 10 Mönche.
Anfang September 1994 laufen die Lebenswege von Alongott und Bra Sit und dessen Frau zusammen. Im sechsten Monat von Tam Londs Schwangerschaft ist ihr Blut routinemäßig auf HIV-Antikörper getestet worden: positiv. Erst daraufhin läßt auch Bra Sit sich untersuchen.

Er fährt zu seinen Eltern, wohlsituierten Leuten, und schildert ihnen aufrichtig seine Lage. Der Vater zeigt Verständnis, doch gegen dessen Willen wirft die Mutter ihren Sohn aus dem Haus. Mit Aids will sie nichts zu tun haben. In einer der neuartigen No-name-Kliniken, die Aids-Patienten Anonymität zusichern, empfiehlt man ihm das Wat Prabat Nampu.
Zwei Monate nach Ankunft der Eheleute wird dort ihr Baby geboren. Seinen Namen erhält es von Abt Alongott. Er nennt es Porn Bun Pot, „Segen aus den Bergen“.

Sogar der damalige Premierminister Tschuan Leekpai hat die Kleine schon gesehen. Er ist durch Zeitungsberichte auf das Hospiz aufmerksam geworden. Mit ihm und vor allem in seinem Gefolge kommen Fernsehteams aller thailändischen Anstalten. Heute kennen Millionen das Aids-Kloster von Lop Buri.

Da der Nation nun in nie gesehener Deutlichkeit vorgeführt wird, wohin Aids schließlich führt, aber auch, daß Mitmenschlichkeit gefragt ist statt Ausgrenzung, bildet das Kloster einen Anfangspunkt für die vielleicht wirkungsvollste Aids-Aufklärung in Ländern wie Thailand: Information durch Realismus.

Wie kraß der Unterschied zwischen Vorstellung und Anschauung sein kann, zeigen die täglich größer werdenden Besuchergruppen. Obwohl alle wissen, was sie erwartet, reagieren die meisten fassungslos auf die Wirklichkeit: Plötzlich schauen sie dem Tod bei der Arbeit zu.

Das Entsetzen auf ihren Gesichtern, wenn sie sich, manche mit Taschentuch vor dem Mund, durch die Krankenstation bewegen, dieses Hinschauen und zugleich Wegschauen, erinnert an die Bilder der Deutschen, die man 1945 zwangsweise durch befreite Konzentrationslager schickte.

Am Eingang werden Holzblumen verkauft, von Patienten kunstvoll aus Zuckerrohr und Palmfurnier gefertigt. Eine junge Besucherin kauft einen Strauß und bringt ihn zu Tscha Nin, dem 35jährigen, der Rattana im letzten Bett der Station abgelöst hat. Der umklammert eine Blume – etwa so, wie er sich immer wieder am Geländer des Bettes festkrallt, als wolle er sich aufrichten.
Dann schlägt er das Gebinde unter regelmäßigem stoßartigem Stöhnen ein ums andere Mal auf das Gestänge, ohne Unterlaß, stundenlang, bis alle Blätter und Blüten auf Bett und Boden verteilt sind und er nur noch das Stöckchen umfaßt, das er aber nicht losläßt, sondern weiterschlägt, Stunde um Stunde weiterschlägt bis in die Nacht. Das Leben läßt ihn nicht los, als hätte es mit ihm noch irgend etwas zu erledigen.

Jeden Tag macht der Abt seine Runde durch die Station, spricht mit Patienten, streichelt Köpfe, nimmt Hände in seine. Als er bei Tscha Nin ankommt, hilft er ihm auf, stellt ihm Fragen, doch der Sterbende starrt ihn nur an und antwortet mit Stöhnen und Schlagen seines Stöckchens – verschlüsselte Botschaften, die zu verstehen bis zu seinem Tod am nächsten Morgen niemandem gelingt.
Ein Fernsehteam begleitet den Abt. Die Kamera sieht den Hinfälligen beim Sterben zu. Alongott hat nichts dagegen. Noch im Tod leisten die Patienten etwas Paradoxes: Sie sterben für das Leben. Aufrüttelnde Aids-Aufklärung hält Alongott für das beste, damit Thailand endlich erwacht.

Am nächsten Tag wird er im Parlament sprechen. Er wird berichten, daß schon 100.000 Menschen das Aids-Kloster von Lop Buri besucht haben; daß die Mönche der Flut von Neuanmeldungen kaum noch Herr werden; daß schon längst nur noch Fälle mit Vollbild Aids einen Platz erhalten; daß er weitere Hütten hat errichten lassen und bis zu 200 Patienten aufnehmen könnte, hätte er mehr Geld.

Es ist der Tag, an dem Bra Sits Eltern ins Wat Prabat Nampu kommen und, als sie wieder fahren, das Baby mitnehmen, probehalber. Der Vater hat es so gewollt. Sein Sohn freut sich und lächelt den ganzen Tag, und am Abend spielt er mit ein paar anderen Patienten Boccia.
Alongott hat den Parlamentariern erklärt, daß es auf Dauer in jeder Provinz ein Sterbekloster geben müsse. Doch schon zehn Versuche, das Aids-Kloster von Lop Buri zu kopieren, sind gescheitert, weil die Nachbarn Mönche und Patienten vertrieben haben.

„Wir konnten es hier nur schaffen“, vermutet Alongott, „weil unser Wat am Ende des Weges liegt“ und weil keiner es ohne seine Erlaubnis verlassen darf.
Drei Tage später steht vor dem Haus des Abtes früh morgens Bra Sit mit verweinten Augen und bittet darum, verreisen zu dürfen. In der Hand hält er ein Bündel Geldscheine.

Schluchzend erzählt der kleine Mann, er müsse sofort in den Süden fahren, zu seinen Eltern. Seine Mutter, die sein Kind ja aufziehen müßte, dulde es keinen Tag länger in ihrem Haus. Und notfalls werde sie es aussetzen.
Auf einem Motorrad läßt sich Bra Sit nach Lop Buri zur Bahn bringen. Seine Reise beginnt auf jenem aufstaubenden Fahrweg zwischen abgeernteten Maisfeldern hindurch, den er eigentlich nicht mehr benutzen wollte in diesem Leben.

Von Jürgen Neffe (Der Spiegel)

 

Die Stunde des Monarchen

Der Monarch saß auf dem Sofa. Ihm zu Füßen kauerten die beiden Männer, die das Königreich Thailand an den Rand einer Katastrophe gebracht hatten:Suchinda , der zum Ministerpräsidenten aufgerückte mächtige General, für das Blutbad in Bangkoks Straßen Anfang voriger Woche verantwortlich, kniete in dunklem Anzug auf dem Teppich und stützte sich schwer auf die linke Hand; Tschamlong, der ehemalige GouverneurAm 17. Mai 1992 demonstrieren in Bangkok über 150.000 Menschen gegen Premierminister Suchinda. Als Protestführer Chamlong Srimuang mit einer Gruppe von 30.000 bis 40.000 Demonstranten vor das Regierungshaus ziehen will, kommt es an der Phan-Fa-Brücke in Bangkok zu den ersten blutigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Demonstranten. Zwischen drei und acht Demonstranten werden von den Ordnungskräften erschossen. Premierminister Suchinda verhängt über Bangkok und Zentral-Thailand das Ausnahmerecht und verbietet politische Zusammenkünfte von mehr als 10 Personen.Am Nachmittag des folgenden Tages gehen Polizei und Militär rabiat gegen die Gruppen von Demonstranten vor, die sich nach dem brutalen Militär- und Polizeieinsatz des Vorabends nicht zerstreut haben. Chamlong Srimuang wird vor laufenden Kameras internationaler Fernseh-Teams verhaftet. Auch unter den Demonstranten macht sich zunehmend Bereitschaft zur Gewalt breit. Steine und Molotow-Cocktails werden geworfen, Barrikaden errichtet. Das Militär antwortet mit Salven aus automatischen Waffen. Eine grosse Zahl von Demonstranten wird erschossen, andere werden halbtot geprügelt. Demonstranten, denen es gelingt, vor den anrückenden Truppen zu fliehen, gruppieren sich in anderen Teilen der Stadt. Vor dem Amt für Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations Department) versammeln sich über 10.000 Demonstranten. Spät am Abend setzen Demonstranten das Amt für Öffentlichkeitsarbeit in Brand. Nach Tagen weiterer Demonstrationen legt Premierminister Suchinda legt am 24. Mai 1992 sein Amt nieder…Bangkoks und Führer der Demokratiebewegung, saß im schlichten blauen Bauernhemd, das zum Symbol seines asketischen Lebens geworden ist, im buddhistischen Lotossitz daneben. Die großspurigen Politiker wirkten wie ungezogene Schuljungen, die eine Strafpredigt des Lehrers über sich ergehen lassen müssen.

Der König sprach feierlich, langsam, mit leiser Stimme: „Das Land gehört nicht nur euch. Es gehört uns allen. Hört auf, euch gegenseitig anzugreifen. Sprecht miteinander, helft euch gegenseitig. Beendet die Gewalttätigkeit.“
20 Minuten lang redete der König auf die Männer ein. Dann standen die also Gescholtenen wortlos vom Fußboden auf und gingen unter Verbeugungen rückwärts zur Tür des königlichen Audienzzimmers hinaus: eine Szene zeremonieller Hofetikette wie aus längst vergangener Zeit. Millionen von Thai wurden Zeugen der ungewöhnlichen Audienz, die in der Nacht zum vergangenen Donnerstag stattfand und von allen Fernsehsendern des Landes übertragen wurde.

Die rituelle Standpauke des Königs wirkte Wunder. Wenig später saßen die Widersacher Suchinda  und Tschamlong nebeneinander an einem Tisch und sprachen via TV zur Nation. Der Premierminister versprach, die Verfassung auf mehr Demokratie hin zu ändern. Der Führer der Opposition forderte seine Anhänger auf, die Straße zu räumen und nach Hause zu gehen.
Innerhalb von Minuten begannen Tausende von Soldaten, die das historische Zentrum Bangkoks zwischen dem Tempel des Smaragdenen Buddhas, der Pagode des Goldenen Bergs und dem chinesischen Viertel besetzt hatten, sich in die Kasernen zurückzuziehen. Die Tausenden von Demonstranten verschwanden im Labyrinth der Gassen und Kanäle der Altstadt. Bei Morgengrauen präsentierte sich Bangkok wieder voll lärmender Vitalität.
Doch die plötzliche Rückkehr zur Normalität vermag die ungeheure Wut und Frustration der Bevölkerung nicht zu verdrängen. „Waren alle Toten umsonst?“ fragte eine Frau weinend in der Ramkhamhaeng-Universität. „Suchinda  ist ein Mörder, und doch bleibt er Premierminister. Wir akzeptieren das nicht. Er muß nicht nur die Regierung, er muß das Land verlassen!“

Niemand in Bangkok spricht öffentlich gegen den König. Fast alle Thai verehren ihren Monarchen so sehr, daß selbst die leiseste Kritik an ihm als ernsthaftes Vergehen gilt. Doch etliche Demonstranten sind verbittert darüber, daß General Suchinda , der offen „Schlächter von Bangkok“ genannt wird, und der charismatische Tschamlong, von vielen mit Mahatma Gandhi verglichen, vom Monarchen als ebenbürtig behandelt worden waren. Manche versuchen es damit zu erklären, daß der König in seinen Entscheidungen nicht frei sei. „Das Militär hat die Gewehre, er hat keine“, sagte ein Demonstrant vor dem Palast.
Das Gerücht, König Bhumibol sei wie ein Gefangener isoliert, war während der Unruhen immer wieder aufgekommen. Alle Straßen, die zum weitläufigen Palastgelände führen, waren mit Stacheldrahtverhauen und Schützenpanzern blockiert. Selbst engste Berater des Königs, hieß es, konnten keinen Kontakt mit dem Monarchen aufnehmen.

Bhumibols Tochter, Prinzessin Sirindhorn, richtete aus Paris einen eindrucksvollen Fernsehappell zur Ruhe an ihre Landsleute. Dabei bemerkte sie, sie habe Schwierigkeiten, mit ihrem Vater telefonisch in Verbindung zu treten. Statt sofort nach Thailand zurückzukehren, sagte die Prinzessin, werde sie ihren Verpflichtungen im Ausland weiter nachgehen. War es eine ihrer Aufgaben, im Namen des Königs vom Ausland her sprechen zu können, weil er selbst daran in Bangkok gehindert wurde?

Das Eingreifen des Königs hat der Hauptstadt erspart, erneut zum Schlachtfeld zu werden. Dabei wäre es nicht nur zu blutigen Kämpfen zwischen unbewaffneten Demonstranten und Soldaten gekommen wie am Anfang voriger Woche, sondern es drohte ein Bruderkrieg innerhalb des Militärs: Wenige Stunden vor der erlösenden Mahnrede des Königs waren im Umkreis von Bangkok Militäreinheiten aus der Provinz eingetroffen, die offenbar gegen den Ministerpräsidenten zu putschen bereit waren.

Suchinda hat sich, seit er an die Macht gekommen ist, verrechnet. Im Februar 1991 hatte er mit seinem Coup d’Etat die demokratisch legitimierte Regierung gestürzt. Dann ließ er die Verfassung umschreiben, bereitete allgemeine Wahlen vor, nach denen er sich, obgleich nicht gewählt, zum Regierungschef ernennen ließ. Immer wieder verkannte der General die Stimmung im Land und unterschätzte die durch den Wirtschaftsboom des letzten Jahrzehnts ausgelösten Veränderungen.

Als die Opposition begann, sich ihm zu widersetzen, spottete Suchinda nur über deren Ohnmacht; als demokratische Politiker wie Tschamlong in einen Hungerstreik traten, um ihn zur Amtsniederlegung zu zwingen, erklärte er, selbst ihr Tod wäre belanglos. Und als Anfang voriger Woche Demonstranten durch die Stadt zogen, meinte er, zuschlagen zu können wie seine schießwütigen burmesischen Kollegen 1988 in Rangun oder wie der Chinese Li Peng im Juni 1989 auf dem Pekinger Tienanmen-Platz: einen friedlichen Protest in einem Blutbad zu ersticken.

Einige der Methoden seiner Leute gleichen tatsächlich denen, die in Rangun und Peking eingesetzt worden sind. Agents provocateurs mischten sich unter die Massen, um Gewalttätigkeit anzuspornen, die eine rigorose Unterdrückung rechtfertigen würde.

Suchinda erklärte, es habe bei allen Straßenschlachten insgesamt 40 Tote gegeben. Unabhängige Beobachter meinen, es seien mindestens 200 gewesen. Soldaten sollen Leichen auf Lastwagen geladen und sie zu einem geheimen Krematorium bei einem buddhistischen Tempel hinter dem Flughafen gefahren haben. Während die Stadtreinigung noch die ausgebrannten Karosserien von Dutzenden von Autos und Bussen abtransportierte, begannen Flugblätter zu zirkulieren, welche die Zahl der Toten auf 8968 setzten. Viele Thai halten das für wahr.

Die Glaubwürdigkeit der Regierung schwand vollends, als Suchinda die Repression damit begründete, die Demonstrationen gehörten zu einer „von Kommunisten gelenkten Konspiration gegen den Staat und die Monarchie“. Dieses Gespenst konnte das Militär vor 20 Jahren heraufbeschwören, aber nicht heute.

Zwar sind die gesellschaftlichen Beziehungen besonders auf dem Land, wo die Mehrheit der Bevölkerung lebt, grundsätzlich feudalistisch geblieben. Aber Thailand ist heute in mancher Weise ein modernes Land und Bangkok eine weltoffene Metropole wie Tokio und New York. Viele Kinder wohlhabender Familien gehen in englischsprachigen Ländern zur Schule.
Suchinda dagegen hat sein Leben innerhalb der Armee verbracht und ist noch in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der Männer in Uniform mehr Macht und Prestige genossen als in jedem anderen Beruf.

Thailand, seit 1932 eine konstitutionelle Monarchie, wurde immer schonhauptsächlich von Militärs regiert. Noch jede demokratische Regierung ist durch einen Militärputsch gestürzt worden. 17mal schlugen die Uniformierten in sechs Jahrzehnten zu. 14mal wurde die Verfassung außer Kraft gesetzt und durch eine neue ersetzt, die sich die jeweils Mächtigen für ihre Bedürfnisse zurechtschnitten.

Suchinda meinte, die Opposition gegen sein Regime bestände, ähnlich wie in der Vergangenheit, hauptsächlich aus Studenten – und sei deshalb politisch belanglos. Er hatte nicht verstanden, daß neben den Studenten diesmal die Massen der neuen städtischen Mittelschicht standen.

Die ursprüngliche Forderung der Demonstranten galt lediglich Sutschindas Rücktritt. Weil Suchinda aber ein „nicht gewählter Premierminister“ war, stand der Ruf nach seiner Demission symbolisch für den Drang der neuen Mittelschicht, das Militär insgesamt aus der Politik davonzujagen, um es durch gewählte Politiker zu ersetzen.

Die Krise betraf nicht einen Mann, sondern ein überlebtes politisches System, das den Erfordernissen des Landes nicht mehr gerecht wurde.
Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts hat Thailand einen gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung genommen. Das Militär hat sich dabei reichlich bedient: Die Armee hält ihre dirigierende Hand über die Kommunikationsindustrie; die Luftwaffe kontrolliert Fluglinien und Flughäfen; die Marine hat das Monopol auf die Handelshäfen und die Entwicklung der Küste östlich von Bangkok.

Mit wachsendem Wohlstand nahmen die Verteilungskämpfe innerhalb des Militärs zu. Auch ist der Widerspruch deutlich geworden zwischen dem Militär und einem neuen Mittelstand selbstbewußter Manager, die nicht mehr gewillt sind, die Interventionen der Uniformierten in der Geschäfts- und Finanzwelt zu dulden.

Für viele war Sutschindas Verhalten ein Beweis seiner militärischen Arroganz und seiner Unfähigkeit, „die Einstellung des Generals gegen die des Politikers einzutauschen“, wie ein Professor meint. Für andere entlarvte das Blutbad in den Straßen von Bangkok die Illusion, Thailand hätte sich von seiner feudalistischen und autoritären Tradition emanzipiert und wäre zum Vorbild wirtschaftlichen Erfolgs und asiatischer Modernität geworden.

Der erschreckende Anblick von Soldaten, die auf unbewaffnete Demonstranten feuern, das Royal Hotel stürmen, die Menschen über den blutbedeckten Boden kriechen lassen und sie mit Gewehrkolben traktieren – all das wird möglichen Investoren und Touristen im Sinn bleiben, für die Thailand bis jetzt das Land des Lächelns und buddhistischen Friedens gewesen war.
Wer wird für die blutigen Ereignisse zur Rechenschaft gezogen werden? General Kaset, Oberbefehlshaber der Streitkräfte, ist sich sicher: „Das ganze thailändische Volk ist für die Krise verantwortlich.“

In erster Linie aber doch wohl das Militär, das durch den blutigen Montag in Verruf geraten ist. Die einst geachteten Uniformierten sind überall unten durch: „Wir bedienen keine Mörder“, ruft eine Frau drei Soldaten zu, die sich an ihren Nudelstand im Phra-Khanong-Markt setzen wollen. Militärjeeps werden mit Steinen beworfen. Leute spucken Offizieren ins Gesicht, deren Wagen an Verkehrsampeln halten.

„Das war das letzte Hurra der Streitkräfte“, sagte optimistisch ein thailändischer Journalist. „Nach dem Bangkok-Massaker wird das Militär nie wieder seine frühere Rolle in unserer Gesellschaft spielen können.“ Zumindest General Suchinda scheint seinen Part absolviert zu haben: Ihm blieb nur noch der Rücktritt vom Posten des Premiers.Von Tiziano Terzani (Der Spiegel)

Hintergrund:

Am 17. Mai 1992 demonstrieren in Bangkok über 150.000 Menschen gegen Premierminister Suchinda. Als Protestführer Chamlong Srimuang mit einer Gruppe von 30.000 bis 40.000 Demonstranten vor das Regierungshaus ziehen will, kommt es an der Phan-Fa-Brücke in Bangkok zu den ersten blutigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Demonstranten. Zwischen drei und acht Demonstranten werden von den Ordnungskräften erschossen. Premierminister Suchinda verhängt über Bangkok und Zentral-Thailand das Ausnahmerecht und verbietet politische Zusammenkünfte von mehr als 10 Personen.Am Nachmittag des folgenden Tages gehen Polizei und Militär rabiat gegen die Gruppen von Demonstranten vor, die sich nach dem brutalen Militär- und Polizeieinsatz des Vorabends nicht zerstreut haben. Chamlong Srimuang wird vor laufenden Kameras internationaler Fernseh-Teams verhaftet. Auch unter den Demonstranten macht sich zunehmend Bereitschaft zur Gewalt breit. Steine und Molotow-Cocktails werden geworfen, Barrikaden errichtet. Das Militär antwortet mit Salven aus automatischen Waffen. Eine grosse Zahl von Demonstranten wird erschossen, andere werden halbtot geprügelt.

Demonstranten, denen es gelingt, vor den anrückenden Truppen zu fliehen, gruppieren sich in anderen Teilen der Stadt. Vor dem Amt für Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations Department) versammeln sich über 10.000 Demonstranten. Spät am Abend setzen Demonstranten das Amt für Öffentlichkeitsarbeit in Brand. Nach Tagen weiterer Demonstrationen legt Premierminister Suchinda legt am 24. Mai 1992 sein Amt nieder…

 

Das Tsunami Warnsystem auf Phuket

Alarmierungsturm

Das neue Tsunami-Warnsystem von Phuket geht im Laufe des Monats August 2005 in den Probebetrieb. Das System ist via Satellit mit der Nationalen Katastrophen Alarmzentrale in Nontaburi (National Desaster Warning Center NDWC) verbunden, welche bereits am 31. Mai 2005 in Betrieb genommen wurde.

Für die Erkennung von den Erdbeben werden die seismologischen Auswertungen der UNO herangezogen werden, die normalerweise für die Überwachung des Atomsperrvertrages verwendet werden. Dazu mussten nur die Meldesysteme in die nationalen Alarmsysteme integriert werden, da die Erkennungsmöglichkeiten schon vorhanden war. Die Meldungen dieser künstlichen durch Nuklearexplosionen hervorgerufenen oder natürlichen Erdbeben laufen in Wien bei der IAEA zusammen. In naher Zukunft werden auch weitere seismische Sensoren im gesamten idischen Ozean installiert.In Patong, das als Pilot-Standort für das NDWC-Projekt ausgewählt wurde, welches in Zukunft die gesamte Andamanen-Küste schützen soll, wurden die 3 NDWC-Zur Zeit kommt es immer wieder zu Fehlalarmen, da nach Erdbeben in der Andamanensee zu früh Tsunamiwarnungen ausgesprochen werden. Das liegt daran, dass zur Zeit noch zu wenig Sensoren im indischen Ozean vorhanden sind…Alarmtürme installiert. Es bestehen Pläne, diese Türme an 24 weiteren Standorten, Rund um Phuket aufzustellen.Thailand ist das erste von dem Tsunami von 26.12.2004 betroffene Land, dass  ein Tsunami-Warnsystem geplant und in Betrieb genommen hat. Boonchai Somjai, Leiter des lokalen Büros für Unfallverhinderung erklärte, dass anschliessend an den Standorten Kata, Karon, Kamala und Sakoo die Sirenentürme in Betrieb genommen werden sollen. Anschliessend sollen dann noch die Standorte Mai Khao, Ao Poh, Laem Tukkae, Saphan Hin, Ao Chalong, Rawai und Laem Promthep folgen.Ausser den Warnungen an den Sirenentürmen, kann das System die laufenden Radio- und TV-Sendungen unterbrechen um entsprechende Warn-Hinweise auszustrahlen. Damit kann die Öffentlichkeit vor herannahenden Tsunami oder anderen Gefahren gewarnt werden.Das System ist auch in der Lage, Warnungen par SMS an Mobiltelefone zu versenden.In einer Kabinettsitzung wurde der Etat für den Aufbau von insgesamt 62 Alarmtürmen an der Andaman-Küste bewilligt. Das Tsunami-Warnsystem soll vor allem den Touristen helfen, das Vetrauen in diese Urlaubsregion wiederzugewinnen und ist daher gut investiertes Geld.Das Warnsystem in Patong soll nun geprüft werden, sobald die Satellitenstrecke nach Nonthaburi hergestellt ist.Hier gibt es weitere Informationen zum Thema Tsunami…

Zur Zeit kommt es immer wieder zu Fehlalarmen, da nach Erdbeben in der Andamanensee zu früh Tsunamiwarnungen ausgesprochen werden. Das liegt daran, dass zur Zeit noch zu wenig Sensoren im indischen Ozean vorhanden sind…

Jens Schinke 2006

Ein Gentleman gegen den Moloch

Apirak Kosayodhin hat in einem Jahr als Gouverneur Bangkoks viele seiner Ziele realisiert und Bangkok lebenswerter gemacht. Noch hat er viel vor, doch der Demokrat hat einen mächtigen Gegner – die Regierungspartei…
An der Haltestelle formen sich erstaunte Grüppchen vor den adretten Anzeigetafeln. Die Passagiere werden genaustens über die Ankunftszeit der Busse, die sie nach Hause bringen, informiert. Die Busse selbst sind mit GPS ausgestattet, das die Benutzer wissen lässt, wie lange die Heimfahrt noch dauert. Die Fahrer selbst werden über Staus auf ihrer Route unterrichtet.
Der Testlauf der ersten „smarten“ Bushaltestelle war ein voller Erfolg. Nun richtet die Stadtverwaltung die nächsten zehn Stopps ein. Bis zum Ende dieses Jahres sollen es 150 werden. Das Projekt ist nur eins von vielen, durch die der Gouverneur Bangkoks, Apirak Kosayodhin, die Lebensqualität der Bangkoker steigern will. Es folgen smarte Taxistände und Ampeln.

Novum Bürgerberatung
Ein städtisches Zentrum für Haushaltsberatung wurde im Mai eröffnet. Finanzexperten informieren hier Geringverdiener kostenlos über Kostenüberwachung. Von Schuldnerberatung über Lebensversicherungen bis zu Finanzplanung reicht die breite Angebotspalette. Ein Kollege Apiraks kam auf die Idee, als er eine Straβenverkäuferin beobachtete, die ihren Umsatz bündelweise in Plastiktüten stopfte, weil sie arrogante Bankangestellte fürchtete. Experten loben die Eröffnung des Zentrums durch Apirak, gerade in Zeiten, in denen die Landesregierung ihre Bürger zum Geldausgeben aufruft.
Aber nicht nur Finanzberater sind voller Lob für den jungen Gouverneur. Auch die Bürger Bangkoks finden, dass er sich in der kurzen Zeit, in der er das Amt innehat, bewährt hat. Der dynamische Demokrat ist seit exakt einem Jahr Statthalter Bangkoks. Er besiegte damals erdrutschartig eine Marionette Thaksins – nachdem er sich in zwei Monaten fünf Kilo antrank. Parteifreunde hatten ihm geraten zuzunehmen, denn der schlanke Apirak wirkte zu jung, zu unerfahren.

Visionen für die urbane Katastrophe
Apirak hatte im kommunalen Wahlkampf einiges versprochen. Seine Lieblingsthemen waren die Säuberung und Begrünung Bangkoks. Auch wollte er das Verkehrschaos bekämpfen. Ein Jahr später ist der urbane Moloch dank gewissenhafter Abfallwirtschaft und Schadstoffbekämpfung ein wenig sauberer. Schulen wurden aufgerüstet, Kitas und Parks wurden eröffnet, städtische Arbeitsplatzförderung und der öffentliche Dienst vorangetrieben. Nun nimmt er sich den Verkehr vor.
Dies schaffte Apirak nur durch seinen Arbeitsstil, der eher dem eines Vorstandsvorsitzenden ähnelt als dem eines Politikers, der auf Parteilinie schwört. Zwar ist er weiterhin stellvertretender Parteiführer, aber er verhält sich objektiv. Beeinflussung, Bestechung und Ausbeutung zugunsten seiner Partei sind ihm fremd – Apirak gilt als Gentleman. Dies lässt einige seiner Parteikollegen bangen; vielleicht behält er seine politische Reserviertheit bei zukünftigen Wahlen und lässt sich nicht als Stimmenfänger einsetzen.

Lob – nicht von allen Seiten
Apirak hat auch Kritiker. Es fehle an Initiativen, sagen diese, an Möglichkeiten aktiver Bürgerpartizipation. Einige befürchten, dass Apirak mit seinen Business-Methoden eine passive Stadt errichtet, die Bürgerkollektivität misst. Doch vielleicht sind das zu hoch gesteckte Ziele. Immerhin leitet er mit der Stadtverwaltung eine immense, träge und konservative Organisation. Als Demokrat erhält er kaum Unterstützung durch die Partei des Premiers, Thaksin Shinawatras, bei der Durchsetzung seiner Politik.
Thaksins Partei ist sein gröβter Feind. Das derzeitige abstruse Zetern um öffentliche Verkehrsmittelprojekte hindert den Gouverneur zwar an der Realisierung seiner Pläne. Doch böse Schläge versetzt die Thaksin-Partei dem Gouverneur mit den Mega-Projekten nicht. Die Bangkoker verstehen, dass er recht wenig gegen Thaksin und seine Vasallen machen kann. Apirak bleibt ruhig und gelassen auf städtischer Ebene. Er will seinen Job richtig machen. Mehr nicht.

Patrick Tippelt, Bangkok

 

 

Selber fahren in Thailand

Ich fahre in Thailand nunmehr seit über sechs Jahren selbst mit dem Auto und Motorrad und habe mich in dieser Zeit an die hiesigen Straßenverhältnisse und die Verkehrsregeln gewöhnt.

Sollten Sie sich zum ersten Mal mit einem Mietwagen oder Motorrad in das Abenteuer stürzen wollen, möchte ich Ihnen hier ein paar nützliche Tips geben. Manches mag seltsam erscheinen, aber ich habe das auch erst auf einer Strecke von ca. 400.000 Kilometern gelernt. Die Reihenfolge der Tips entspricht keiner Abstufung in der Wichtigkeit! Fernstraßen haben Kilometerangaben. Die Straßennummer und der aktuelle Kilometer sind auf den weißgestrichenen Kilometersteinen am Fahrbahnrand angegeben. Außerdem finden Sie dort Entfernungsangaben zum nächsten Ort und zum nächsten größeren Fernziel (in Thaischrift!). Achten Sie beim Kauf einer Straßenkarte darauf, daß diese Kilometer auf der Karte angegeben sind. Die Orientierung wird so viel einfacher.

Wenn Sie wissen, daß eine Abzweigung von der Straße 4 bei Kilometer 102 nach rechts geht, können Sie sich rechtzeitig darauf einrichten. Außerdem können Sie nach einem Blick auf den Kilometerstein finden, wo auf der Karte sie gerade sind. Am besten nehmen Sie eine, auf der die Ortsnamen in Thai und lateinischer Schrift stehen, so können Sie besser nach dem Weg fragen. Eine der besten Karten, die ich gefunden habe, ist die Thailand Highway Map, herausgegeben von der Roads Association of Thailand (ISBN 974-7653-31-1). Sie ist in den größeren Buchhandlungen (D.K. Book Store, The Books) in größeren Städten für 120 Baht erhältlich und erscheint jährlich neu.

Wenn Sie mit dem Motorrad unterwegs sind, fahren Sie so vorsichtig wie nie zuvor in Ihrem Leben. Besonders bei Nacht sind auf den Überlandstraßen Hunde unterwegs, und die haben keine Beleuchtung! (Genauso wenig wie Elefanten, und ein Unfall mit einem Elefant ist ein Sakrileg!)

Es gibt hier wirklich Verkehrsregeln, aber diese sind weitestgehend unbekannt. Die Erteilung eines Führerscheins setzt zwar eine theoretische Prüfung voraus, aber gegen einen kleinen Beitrag für die Kaffeekasse findet sich auf jedem Straßenverkehrsamt jemand, der beim Ausfüllen des Multiple-Choice-Tests behilflich ist. Es genügen hier 15 von 20 richtigen Antworten. Die praktische Prüfung reicht je nach Ort von einer Acht auf dem Parkplatz bis zum Einparken in einer mit Bambusstangen markierten Parklücke.

In Thailand herrscht Linksverkehr. Man sollte sich allerdings nicht 100% darauf verlassen, daß sich das bei allen Verkehrsteilnehmern herumgesprochen hat.
Ob rechts vor links oder links vor recht gilt, ist nicht ganz klar. Ich warte im Zweifel immer, bis an einer Kreuzung auf beiden Seiten keiner kommt, das ist wirklich sicher.Mittlerweile ist es klar, daß links vor rechts geht, aber bitte nicht darauf verlassen!

Wenn Ihr Vordermann auf eine Kreuzung zufährt und schaltet den Warnblinker an, so bedeutet das, daß er geradeaus fahren will. Er gibt damit zu erkennen, daß er nicht vergessen hat zu blinken, jedoch weder rechts noch links abbiegen will.
Thais lieben es zu überholen. Sie tun dies immer dann, wenn sie niemanden entgegenkommen sehen. Dies gilt logischerweise also auch vor Kuppen und Kurven!

Auf mehrspurigen Straßen sollte der langsame Verkehr die linke Spur benutzen. Verlassen Sie sich nie darauf. Besonders auf kurvenreichen Strecken werden die Spuren dauernd gewechselt, selbst bei Schneckentempo werden Kurven noch geschnitten. (Am sichersten ist das Überholen daher in Linkskurven.)
Es gibt im Prinzip zwei Arten von Fahrern hier. Die einen fahren so langsam, daß man als Hintermann im rechten Bein einem Krampf vom Gaswegnehmen bekommt, die anderen rasen ohne Rücksicht auf Verluste.

Die landesweit geltende Höchstgeschwindigkeit wird kaum beachtet. Es gilt ein Limit für PKW und Motorrad von 90 km/h, für Pickup, Busse, LKW ohne Anhänger von 80 km/h, für LKW mit Anhänger 60 km/h.

Eine automatische Geschwindigkeitbeschränkung in Ortschaften gibt es nicht. Meist steht am Straßenrand ein Schild (gelb mit schwarzer Schrift) in Thai und Englisch „Reduce your speed“. Manchmal ist die erwartete Höchstgeschwindigkeit klein darunter angegeben.

Sollten vor einer Kurve abgeschnittene Zweige oder Palmwedel auf der Straße liegen, bremsen Sie besser. Dies ist hier das übliche Warndreieck, und hinter der Kurve wartet evtl. ein liegengebliebener LKW!
Vorsicht am Berg! Es besteht akute Auffahrgefahr! Hierzulande schaltet man meist erst dann in den kleineren Gang, wenn der Motor fast abgestorben ist. Ist der Berg steil genug, bleibt dabei der Wagen stehen und dann wird erst einmal ein Stein gegen das Rückwärtsrollen unter mindestens ein Rad gelegt. Nur so läßt sich das Fahrzeug (mit meist defekter Handbremse) wieder anfahren. Der Stein bleibt dann natürlich auf der Straße liegen, zur Freude später kommender Zweiräder.

Beim Rechtsabbiegen ist es üblich (vor allem bei Zweirädern), daß man schon einmal ein paar zig Meter vor der Abzweigung die Seite wechselt und dann eben am rechten Straßenrand bis dorthin fährt. Biegt man auf eine Straße nach rechts ein und will dann bald wieder rechts abbiegen, lohnt es sich ja erst recht nicht, überhaupt auf die linke Seite zu wechseln. Besonders bei Nacht kann das den Gegenverkehr gut irritieren!

Apropos Nacht: Besonders die betagteren Fahrzeuge haben manchmal kaum oder gar keine Beleuchtung. Daß man denjenigen nicht kommen sehen konnte, gilt bei einem Unfall nichts. Solange der Fahrer die Straße noch erkennen kann, braucht er kein Licht einzuschalten. Gesehen werden ist unwichtig!
Nochmal Nacht: Sollten Sie nachtblind sein, gleich eine Warnung: Der Straßenbelag ist hier sehr dunkel, wenn dann noch etwas Regen dazukommt, artet alles in Blindflug aus. Das und die meist falsch eingestellten Scheinwerfer des Gegenverkehrs sollten als Risiko nicht unterschätzt werden. (Auf Langstrecken kommen noch die total übermüdeten LKW-Fahrer dazu, die sich mit Energiedrinks und/oder Drogen kaum wachhalten können.)
Es gibt in Thailand nahezu keine Alkoholkontrollen, sollte es aber einen Unfall geben, spielt der Alkohol eine wesentliche Rolle. Haben Sie getrunken, bezahlt Ihre Versicherung nichts.

Fahrbahnmarkierung werden auf Landstraßen meist als Dekoration betrachtet. Machen Sie sich darauf gefaßt, daß auf einer längeren geraden Strecke ein Mopedfahrer vor Ihnen auf einmal ohne Grund anfängt, Schlangenlinien zu fahren. Lange geradeaus fahren ist langweilig und macht keinen Spaß!
Rot-weiß gestrichene Bordsteine bedeuten Halteverbot, gelb-weiß bedeutet Parkverbot. In einigen Städten (Bangkok, Phuket, Patong, Chiang Mai, u.a.) werden falsch abgestellte Fahrzeuge mit Radklammern blockiert oder einfach mit einer Kette am nächsten Laternenmast angeschlossen. Damit beginnt dann die Suche nach dem zuständigen Polizeirevier …

Warnschilder vor Baustellen sind (fast) immer große rote Plakate mit schwarzer Schrift. Der Text ist meist nur in Thai geschrieben, aber allein das Vorhandensein eines solchen Schildes sollte zur Vorsicht mahnen.
Kommen Ihnen Fahrzeuge mit Lichthupe entgegen, soll dies auch meist vor einer Gefahrenstelle warnen. (Evtl. aber auch Polizeikontrolle)
Halten Sie am besten immer den linken Fahrbahnrand im Auge. Es könnte passieren, daß der für Sie wichtig wird. Überlandbusse überholen häufig ohne Rücksicht auf den Gegenverkehr, da sie ja sowieso die Stärkeren sind. Da hilft nur die Flucht nach links!

Überholen Sie nicht, wenn eine Abzweigung auf der rechten Seite naht. Meist ordnet man sich hier zuerst rechts ein und setzt dann, wenn überhaupt, den Blinker. Ein Blick in den Rückspiegel vor dem Einordnen scheint ein Zeichen von Schwäche zu sein und wird deshalb meist unterlassen.
Entfernungsangaben auf Wegweisern sind in Kilometern, Geschwindigkeitsbegrenzungen in km/h.

Mit einem gemieteten Fahrzeug dürfen Sie die Landesgrenze nicht überschreiten. Das geht nur, wenn Sie den Fahrzeugbrief vorweisen können und an der Grenze eine Versicherung für den Auslandsaufenthalt abschließen. Je nach Verleiher kann es auch sein, daß Sie die Provinz ohne Zahlung einer Zusatzgebühr nicht verlassen dürfen. Denken Sie z.B. bei Ausflügen von Phuket aufs Festland daran. (Das Festland ist per Brücke erreichbar, ist aber schon die Provinz Phang Nga.) Speziell für Phuket:Vorsicht vor PKW’s mit grünem Kennzeichen! Das sind die sogenannten VIP-Limousinen, die den Taxiverkehr vom und zum Flughafen machen. Die Fahrer meinen, besonders priviligiert zu sein und die gesamte Straße gepachtet zu haben.

Die hiesigen Tuk-Tuk-Fahrer bilden eine Klasse für sich. Sie sind offensichtlich von allen Verkehrsregeln entbunden. Lassen Sie es am besten nie zu einer Diskussion oder gar einem Unfall kommen!
Besondere Vorsicht ist auch bei den zahlreichen „Big Bikes“ angebracht. Die kann hier jeder mieten, egal ob er zu Hause einen Führerschein und Erfahrung mit Motorrädern mit deutlich über 100 PS hat oder nicht. Die Fahrweise der Leute ist dementsprechend.

Inzwischen sind sehr häufig Führerscheinkontrollen angesagt. Besonders an „strategischen“ Punkten warten die freundlichen Herren in Braun auf ihre Opfer, so z.B. zwischen Karon und Patong Beach, in der Zeit, zu der die meisten Nachtschwärmer unterwegs sind. Der Besitz eines Führerscheins löst Begeisterung aus, wenn man keinen hat, fällt das Budget für den Abend um ca. 300 Baht niedriger aus. Der Unterschied zwischen Motorrad- und Autoführerschein ist sehr wohl bekannt…

Wolfgang Siebeck, Webmaster SIAM.DE

Suvarnabhumi (Goldenes Land)

Anflug auf den alten Airport in Bangkok

Der neue internationale Flughafen von Bangkok hätte eigentlich schon am 29. September 2005 eröffnet werden sollen. Wirklich eröffnet wurde er am 28. September 2006, also erst ein Jahr später…

Wer je zur Regenzeit den internationalen Airport Bangkoks Don Muang anflog, weiss , dass der Bau eines Flughafens in dieser Gegend äusserst Anspruchsvoll ist. Der aus den Bergen im Norden kommende Chaophraya Fluss fliesst bei Bangkok durch eine weite Tiefebene bis in den Golf von Thailand. Das mit Tausenden von Kanälen durchzogene Land wird zur Regenzeit regelmässig überflutet. Selbst in der Innenstadt Bangkoks schützen sich Hotels und Geschäfte mit Sandsäcken gegen die Wassermassen.
Als das thailändische Militär 1914 nach einem geeigneten, höher gelegenen und überflutungsfreien Gelände für einen Flugplatz suchte, wurde man 22 Kilometer nördlich der Stadt in Don Muang fündig. Der dortige Flugplatz ist sicher einer der ältesten Asiens und diente nicht nur europäischen Fluggesellschaften bereits in den 30er Jahren auf ihrer Asienroute als Landeplatz, sondern ist noch heute der internationale Airport Bangkoks.

1911 flog der belgische Pilot van den Born mit seiner „Orville Wright“ das erste Mal in Thailand auf der Pferderennbahn Sa Pathum, dem Gelände des heutigen Royal Thai Sports Club. Bereits 1913 bestellte Thailand die ersten acht Flugzeuge, und der Don Muang Airport als Basis des neu gegründeten Army Air Corps wurde 1914 eröffnet.

Inzwischen hat sich die Stadt bis weit hinter den Flughafen ausgebreitet, und dieser ist den Touristenströmen kaum noch gewachsen.
Bereits vor der Wirtschaftskrise, die Thailand 1997 heimsuchte und von der sich das Königsreich langsam aber stetig erholt, gab es Planungen für einen neuen internationalen Grossflughafen als Drehkreuz für ganz Südostasien.
Nun war es in den 90er Jahren natürlich wesentlich schwerer als 1914, ein geeignetes Gelände zu finden, und so musste man sich mit einem östlich der Stadt gelegenen Areal begnügen, das erst nach Eindeichung und Einrichtung von Pumpstationen überhaupt zu bebauen war.

Für die Konstruktion des neuen Flughafens wurde deshalb unter anderem eine holländische Firma unter Vertrag genommen. Um den Flughafen herum wurde ein Deich von 23.5 Kilometern Länge und 3.50 Metern Höhe gebaut. Entwässerungskanäle auf beiden Seiten des Deiches, Reservoirs und Pumpstationen runden das Bild dieses typisch holländischen Polders ab. Selbst bei Ausfall der Pumpen kann das Entwässerungssystem mit fünf Tagen Dauerregen fertig werden.

Das Projekt für den neuen Airport wurde Anfangs NBIA (New Bangkok International Airport) genannt. Während der Wirtschaftskrise wurde man etwas bescheidener und nannte das Projekt SBIA (Second Bangkok International Airport).

Der neue Airport sollte ursprünglich bereits 2004 seinen Betrieb aufnehmen. Doch verunmöglichten die Wirtschaftskrise und der Widerstand der örtlichen Landeigentümer diese Planungen. Die Umgebung Bangkoks ist dicht besiedelt. Und so mussten über 2300 Familien unter sanftem Druck der Behörden ihr angestammtes Land verlassen und wurden umgesiedelt. Zum Teil wurden sie finanziell (es wurden bis zu 20’000 Euro pro Familie gezahlt) entschädigt, zum Teil erhielten sie auch neue Landflächen. Es wurden drei Schulen, ein Tempel und ein Krankenhaus für diese Familien gebaut.

Nach der Umsiedlung der Familien mussten zunächst 3,3 Millionen Quadratmeter Fläche für Start- und Rollbahnen sowie Vorfelder entwässert und mit Millionen Kubikmetern Sand und Felsgestein stabilisiert werden, bevor der eigentliche Bau beginnen konnte.

Der Plan, für den Don-Muang-Flughafen rund 25 Kilometer östlich der Stadt einen Ersatz zu schaffen, stammt bereits aus den 60er Jahren. Doch erst 1996 war tatsächlich mit dem Bau in Nong Ngu Hao (Kobrasumpf) begonnen worden. Suvarnabhumi – auf Deutsch: „Goldenes Land“ – sollte der größte und modernste Flughafen Südostasiens werden. Unter anderem besitzt er den höchsten Kontroll-Turm der Region und wird jährlich bis zu 45 Millionen Passagiere abfertigen können. Allein das futuristisch anmutende Passagier-Terminal wird eine Fläche von insgesamt 536.000 Quadratmeter einnehmen. Seine beiden, rund vier Kilometer langen, parallel zueinander verlaufenden Start- und Landebahnen sind 60 Meter breit und erlauben zwei Flugzeugen gleichzeitig Start oder Landung, so dass pro Stunde 76 Flüge abgefertigt werden können.

Zwischenzeitlich war um den Bau des Terminalgebäudes ein heftiges Gerangel entstanden. Keine der an der Ausschreibung beteiligten Firmen bot den Bau für die projektierten 43 Milliarden Baht an (1 Mio Baht = ca. 20’000 Euro). So wurde der Entwurf des Terminals nun fortlaufend verändert, um ihn billiger zu machen. Bei dieser Gelegenheit sind offenbar auch die Ausschreibungsbedingungen zu Gunsten japanischer Baufirmen „angepasst“ worden, mit der Folge, dass sich z.B. die deutsche Firma Hochtief aus dem Ausschreibungsverfahren zurückzog.

Finanziert wurde das Airport-Projekt von der Japan Bank for International Cooperation. Der thailändische Finanzminister reiste extra nach Japan, um sich die Anderungen im Entwurf genehmigen zu lassen. Wichtig war den Thailändern auch die Nutzung von mehr lokalen Baumaterialien als ursprünglich vorgesehen, um die Kosten für den Airport zu senken. Natürlich sollte auch der neue Entwurf des Terminals alle Annehmlichkeiten bieten, die der internationale Reisende erwartet. Dazu gehörte auch eine Bahnstation, damit die Stadt in Zukunft mit der Schnellbahn bequem erreicht werden kann.

Auch zum jetzigen Flughafen Bangkoks, Don Muang, sollte ursprünglich eine Schnellbahn gebaut werden, um die chaotischen Verkehrsverhältnisse auf dem 22 Kilometer langen Weg in die Stadt zu überbrücken. Doch auf Grund der Wirtschaftskrise wurde das Projekt „Hopewell“ in der Rohbauphase eingestellt. Die direkt vor dem internationalen Ankunftsgebäude vor sich hin rottenden Pfeiler der nie vollendeten Hochbahnstrecke bieten dem mit dem Taxi im Stau steckenden Reisenden wenig Trost und erzählen von längst vergangenen goldenen Zeiten…
Auf dem alten Flughafen Don Muang herrschen heute – für unsere Verhältnisse – chaotische Verhältnisse, denn die Wirtschaftskrise in Thailand 1997-98 liess auch die thailändischen Flughäfen nicht ungeschoren. Die Zahl der Passagiere auf allen thailändischen Airports sank um 2,4 Prozent auf 30,88 Millionen, die der Flüge um 3,15 Prozent auf immerhin noch 210 894 im Jahr und die beförderte Frachttonnage um 3,33 Prozent.

Die Dramatik der Situation wird erst deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass bis zum Jahre 1997 Wachstumsraten zwischen sechs und zehn Prozent in diesen Bereichen an der Tagesordnung waren. Durch eine Erhöhung der Airporttaxe und Abfertigungsentgelte, auch zum Ausgleich des gesunkenen Wechselkurses des Baht, versuchte die AAT (Airport Authority of Thailand) ihre Einnahmen zu verbessern. Der neue Airport Bangkoks hörte bislang auf den romantischen Namen NBIA (New Bangkok International Airport). Inzwischen ist er vom König höchstpersönlich „Suvarnabhumi Airport“ getauft worden.
Um dem bis zur Eröffnung des neuen Flughafens erwarteten Wachstum des Luftverkehrs gerecht zu werden, wurde allerdings auch der jetzige Airport ausgebaut und renoviert. Dazu gehörte auch die neue Asphaltierung der Landebahnen, der Ausbau der Rollwege und des Vorfeldes, die Verlagerung der General Aviation in den Ostteil des Platzes, in den Bereich der Royal Thai Air Force, sowie die Einrichtung von acht weiteren Boeing-747-400-Standplätzen an neu errichteten Gates. Durch die vielen Neubauten, die auch einige Gebäude und Parkhäuser umfassen, wurde die Errichtung eines neuen, 45 Meter hohen Towers notwendig, um weiterhin für die Fluglotsen akzeptable Sichtverhältnisse zu schaffen…

Die auf der Ostseite gelegene Basis der Royal Thai Air Force, zu der der Golfplatz gehört, dient auch dem König und seiner Verwandtschaft auf seinen Reisen. Dann kann es schon einmal vorkommen, dass der Flugplatz wegen „VIP-Movement“ für eine Stunde geschlossen wird. Da der Monarch beim Volk hoch verehrt wird und die Thailänder überhaupt nette Leute sind, tut dies der Beliebtheit des Flugplatzes jedoch keinen Abbruch…

Obwohl Tag und Nacht fieberhaft auf der Großbaustelle in Bangkoks Nachbar-Provinz Samut Prakan gearbeitet wird, kann der neue, internationale Groß-Flughafen Suvarnabhumi nicht zum geplanten Termin am 29. September 2005 eröffnet werden. Das musste erstmalig Thailands ehrgeiziger Premierminister Thaksin Shinawatra eingestehen, nachdem er auf dem schlammigen Gelände bewusst Flagge gezeigt, für die Arbeiter persönlich gekocht und dann sogar in einem spartanischen Militärzelt übernachtet hatte.

Der neue Airport soll nun auch früher als geplant eine dritte und vierte Lande- und Startbahn erhalten. Das Passagieraufkommen mache einen baldigen Baubeginn erforderlich, sagte Ministerpräsident Thaksin Shinawatra. Eine dritte und vierte Landebahn sollten ursprünglich erst im Jahre 2009 in Betrieb gehen.
Ausserdem hat die Regierung Pläne über einen Hochgeschwindigkeitszug als Verbindung zu Bangkoks neuen internationalen Flughafen Suvarnabhumi angekündigt. Die 28 Kilometer lange Strecke von Phaya Thai über Makkasan bis zum Airport Suvarnabhumi in der Provinz Samut Prakan soll als Hochbahn errichtet werden und 2008 in Betrieb gehen. Die geschätzten Kosten belaufen sich auf 30 Milliarden Baht.

Die Strecke soll von zwei Zügen befahren werden: Der Airport Express rollt mit Tempo 160 ohne Zwischenstopps zum Flugplatz, der „City line“-Zug wird an acht Stationen halten. Fluggäste können ihr Gepäck bereits im Makkasan-Terminal aufgeben. Zur Annehmlichkeit der Passagiere gibt es Förderbänder für Gepäck sowie Abfertigungsschalter für Koffer im Zug.

Thaksin fügte hinzu, dass das Kabinett ein Budget in Höhe von 1,6 Milliarden genehmigt hat. Damit sollen sieben Projekte, die sich mit den Transportsystemen der Hauptstadt und der Reduzierung des Verkehrs befassen, untersucht und entworfen werden.

Der zur Zeit aktuelle Eröffnungstermin sollte zuerst zwischen 6. Mai 2006 und  28.August 2006 sein. Erst dann wäre der Suvarnabhumi Airport von der Flugaufsicht, der International Civil Aviation Organisationen (ICAO), abgenommen worden und die Freigabe erhalten.. Als ICAO-Code wurde VTBS bestimmt, der IATA-Code BKK wurde vom alten Flughafen Don Muang übernommen…
Zweitweise war geplant, den bisherigen Flughafen Don Muang als Flughafen für Billigflugesellschaften und den Charter-Flugverkehr weiterzubetreiben, obwohl verschiedene Beratungsfirmen vor Rentabilitätsproblemen gewarnt haben…
Zur Zeit kämpfen die Ingenieure noch mit Rissen im Aufsetzbereich der Landebahnen, welche es erfordern, die Pisten weiter zu stabilisieren. Der neue Flughafen wurde auf einem ehemaligen Sumpfgebiet errichtet…Diese Probleme führten dann auch dazu, dass der alte Flughafen Anfangs 2007 wieder für einige nationale Flüge geöffnet wurde, um den neuen zu entlasten.
Der Einweihungsflug:
Am 29.09.2005 um 9:39 Uhr Ortszeit landete der Premierminister an Bord einer Airbus A340-600 auf dem neuen Flughafen. Eine Flugzeugladung mit Journalisten und Medienvertretern an Board folgte in einer Boeing 747-400.
Der Direktor des Bangkok Airport Traffic Departments, Pilot Officer Preecha Praedum, sagte dass das Flugzeug bei dem Einweihungsflug einen Rundflug nach der nördlichen Provinz Pitsanulok machte , bevor es auf dem neuen Flughafen landete.
Er versichtere, dass von AEROTHAI 10 Fluglotsen, 20 Radaroperatoren und weitere 30 Techniker und Ingenieure bereitgestellt wurden, um einen sicheren Flug zu garantieren.
Weiter erwähnte er, dass zukünftig die Linienfluggesellschaften den neuen Suvarnabhumi Airport anfliegen werden, während Charterflieger und das Militär sich mit dem alten Flughafen Don Muang begnügen müssten…
Ich werde hier über weitere Neuigkeiten zu diesem interessanten Thema berichten…
Siehe auch die Projekt-Fotos für diesen Flughafen…

18.01.2006 – Brand in einem Gebäude von Thai Airways

Bei Schweissarbeiten entstand durch Funkenflug ein Feuer in einem der neuen Gebäude von Thai Airways, in dem zukünftig Bordmahlzeiten hergestellt werden sollen.Über eventuelle Auswirkungen auf die geplante Inbetriebnahme des neuen Flughafens durch dieses Vorkommnis ist noch nichts bekannt.Die Funken entzündeten brennbares Isoliermaterial in den Luftschächten.Zu der Zeit des Brandes befanden sich ca. 300 Arbeiter in dem Gebäude. Die Sprinkleranlage war noch nicht in Betrieb…Bei der Flucht aus dem brennenden Gebäude wurden vier Arbeiter verletzt. Ein fünfter wurde später tot in einem Aufzug gefunden.

Am 29.9., kurz nach Mitternacht war es dann endlich soweit. Suvarnabhumi nahm den Betrieb auf!

Hier einige Zahlen zum neuen Flughafen:

Standort:
32 Quadratkilometer grosses Areal in der Provinz Samut Prakan zwischen Bangkok und Chonburi, ehemals ein sumpfiges Marschland, auch Kobrasumpf genannt…

Baukosten:
Über 150 Milliarden Baht

Kapazität:
Jährlich bis zu 45 Millionen Passagiere (das sind fast 125.000 Fluggäste pro Tag) sowie 3 Millionen Tonnen Fracht.

Start- und Landebahnen:

3.700 bzw. 4.000 Meter

Flugzeuge:

51 Maschinen können am Terminal andocken, weitere 60 Parkpositionen befinden sich auf dem Vorfeld…

Starts und Landungen:

Bis zu 76 in der Stunde…

Passagierabfertigung:

360 Schalter

Passkontrollen:

124 Schalter für die Einreise und 72 Schalter für abfliegende Passagiere

Gepäckabfertigung:

22 Förderbänder

Jens Schinke 2006