„Feuer und Öl“

Terror im Touristenparadies: Unruhen im muslimischen Süden bedrohen den Ruf des sanften Siam. Premier Thaksin geht mit harter Hand gegen Islamisten vor.Pittaya Maeprommit, 40, ist der traurigste Fußballtrainer der Welt. Dabei war seine Mannschaft „TR Sport“ keine Verlierertruppe. Im Gegenteil: Sie mischte immer vorn mit bei den Dorfturnieren hier im Süden des Landes; zu den Spielen im Stadion von Suso kamen schon mal über 1000 Zuschauer.
Aber welcher Coach kann es verkraften, wenn er von einem Tag auf den anderen 13 seiner Kicker verliert? Genau das geschah in Suso: Die gesamte Mannschaft – und noch ein paar weitere Jugendliche – starben am Morgen des 28. April.
„Sie hatten mir nicht gesagt, was sie vorhatten. Sie sagten nur, dass sie zu einer anderen Moschee fahren würden“, sagt Pittaya leise und zupft seinen Sarong zurecht. Das war am Abend vor der Tragödie.

Doch seine Sportler wollten nicht beten. Stattdessen griffen sie sich Messer und Macheten und knatterten auf ihren Mopeds in Richtung der Provinzhauptstadt Yala. Auf dem Weg stürmten sie plötzlich auf eine Polizeistation los.
Die Beamten schossen die Angreifer nieder. Einige Rebellen versuchten, sich in ein Gartenrestaurant gleich neben der Wache zu retten – vergebens. „Sie hatten die Hände erhoben. Sie hätten nicht sterben müssen“, sagt Pittaya. Unter den Toten war auch sein jüngerer Bruder Kamaruding. „Er war ein guter Mittelfeldspieler“, sagt der Trainer.

Pittaya, im Hauptberuf Plantagenarbeiter, sitzt an einem langen Holztisch in einem leeren Restaurant unweit seines Hauses im Dorf Kede im Süden Thailands. Es ist Ramadan, erst nach Einbruch der Dunkelheit wird er das Fasten brechen. Der Trainer zeigt keine Empörung über das Geschehen. „Es war alles Allahs Wille“, sagt er. Die Frage nach dem Warum der Kamikaze-Aktion kann – oder will – er nicht beantworten. Niemand habe zuvor Hass auf die Regierung erkennen lassen, behauptet Pittaya: „Sie sind beeinflusst worden“, sagt er, „jemand muss ihnen das Gehirn gewaschen haben.“
Die Fußballer von Suso waren nicht die Einzigen. In der gesamten Region wurden elf Polizei- und Militärposten angegriffen: 32 Jugendliche verschanzten sich in der historischen Krue-Se-Moschee bei Pattani. Keiner von ihnen kam lebend aus dem kleinen Gotteshaus heraus. Insgesamt starben an jenem Tag 107 Menschen.

Seither bleibt es nicht mehr ruhig in Thailands Südprovinzen: Bomben explodieren, Unbekannte köpfen Mönche, strecken Lehrer, Geschäftsleute, Soldaten und Polizisten nieder. Mehr als 400 Menschen kamen seit Jahresbeginn ums Leben.
Ende Oktober erreichte die Krise einen neuen Höhepunkt. In dem verschlafenen Ort Tak Bai an der Grenze zu Malaysia erschossen Soldaten bei einer Protestkundgebung 7 Männer und zwängten über 1300 Demonstranten in ein paar Lastwagen: 78 erstickten qualvoll.
Dabei galt die Region, in der über zwei Millionen Malaiisch sprechende Muslime leben, als Muster friedlicher Koexistenz der Religionen: 1902 hatte Bangkok das Sultanat Pattani annektiert, doch die Separatisten, die seit den sechziger Jahren für die Unabhängigkeit von Thailand kämpften, schienen längst aufgegeben zu haben.

Nun fürchten Thailands Militärs, radikale Muslime könnten den Konflikt wiederbeleben und in den Norden des Landes tragen. Das hätte weit reichende Folgen: Die Urlauberinsel Phuket liegt nur 350 Kilometer entfernt, ein Attentat wie 2002 auf Indonesiens Ferieninsel Bali würde die thailändische Tourismusindustrie und den Ruf des sanften Siam mit einem Schlag erledigen. Tatsächlich drohte die tot geglaubte Vereinigte Befreiungsorganisation Pattani vor wenigen Tagen kryptisch an, Bangkok, die Hauptstadt der Ungläubigen, niederzubrennen: „Unsere Waffe ist Feuer und Öl, Feuer und Öl.“
Abddrorsut Masoh ist Kokosnuss-Händler und Mitglied des Gemeinderats im 400-Seelen-Dorf Salamai. Elf Einwohner, die wohl mehr aus Neugierde als aus Zorn zur Demonstration ins nahe Tak Bai gefahren waren, gehörten zu den Opfern. Für Abddrorsut, 29, war es Mord: „Die Armee wollte an diesem Tag nicht nur eine Demonstration auflösen. Sie wollte Leute umbringen, als Rache für ihre Toten.“

Von den Überlebenden waren einige übel zugerichtet nach Salamai zurückgekehrt. Aber kein einziger Offizier ist bislang bestraft worden, kein Politiker zurückgetreten. „Die Verantwortlichen müssen ins Gefängnis, für mindestens 20, 30 Jahre“, fordert Abddrorsut. Doch merkwürdig:
Ob Imam oder Abgeordneter, Bürgermeister oder Gelehrter – wer genau hinter den Unruhen der letzten Monate steckt, mag niemand erklären. Umgekehrt hat auch noch niemand die Anwesenheit ausländischer Agitatoren nachgewiesen. Nur so viel scheint klar: Immer mehr junge thailändische Muslime fühlen sich als Teil einer weltweiten Bewegung – einer islamischen Renaissance. In der Nähe von Yala entsteht derzeit eine große Islamische Universität – finanziert auch von Saudi-Arabien.

Abhisit Vejjajiva, Vizechef der oppositionellen Demokratischen Partei in Bangkok, warnt: „Wenn wir das Problem nicht schnell lösen, besteht die Gefahr, dass ausländische Gruppen die Situation ausnutzen.“ Der Politiker sieht hinter den Gewaltausbrüchen weniger den Versuch von Separatisten oder fanatischen Religionskriegern, das Schwert des Islam zu schwingen. Ursache der Krise ist nach seiner Ansicht vielmehr die harsche Politik der Regierung gegenüber der muslimischen Minderheit: „Die Menschen fühlen sich bedroht und ungerecht behandelt.“

Auch Geistliche und Bürgerrechtler weisen Premierminister Thaksin Shinawatra einen Teil der Schuld am Drama des Südens zu. Thaksin, einer der reichsten Geschäftsleute Asiens, verwalte sein Heimatland wie eines seiner Unternehmen: stets auf Effizienz bedacht, aber ohne Feingefühl. Die Tragödie in Tak Bai bezeichnete er kühl als „Managementfehler“.

Der Regierungschef zeigt Kompromisslosigkeit, weil er im Kampf gegen den internationalen Terrorismus fest an der Seite der Amerikaner stehen möchte. Seine Karriere hatte er einst als Polizist begonnen, doch das hinderte ihn nicht daran, die in den Südprovinzen traditionell gute Zusammenarbeit zwischen Sicherheitskräften und den örtlichen Verwaltungen zu zerschlagen. Selbst eine Kommission, bei der Muslime ihre Anliegen vortragen konnten, ließ er auflösen.
Die Unruhen erschüttern eine Region von tropischer Schönheit. Sattgrüne Reisfelder, Palmenhaine und Kautschukplantagen lösen einander ab. Männer führen Affen an der Kette spazieren, vor den Häusern hängen Käfige mit Singvögeln. In den Dörfern lächelt die Königin von großen Plakaten. Hinter der harmonischen Fassade blüht jedoch seit jeher der Schmuggel; Grenzorte wie Sungai Golok leben vom Prostitutionstourismus malaysischer Kunden. Mafiose Politiker, Armee und Polizei sind in dunkle Geschäfte verwickelt.

Jetzt sind auch die religiösen Spannungen greifbar: Hinter der 235 Jahre alten Wadil-Husen-Moschee von Taloh Manoh haben sich örtliche Würdenträger versammelt. Sie wollen für jene 22 Toten von Tak Bai beten, die hier am Waldrand in einem Massengrab verscharrt worden sind, weil niemand sie identifizieren konnte.

Pracha Taerat, seit wenigen Tagen Gouverneur der Provinz Narathiwat, kommt am vorvergangenen Donnerstag zur Zeremonie, um die Einwohner zu beruhigen. Soldaten und Leibwächter mit automatischen Waffen sichern das Gelände. Wortreich entschuldigt er sich für das Geschehen. „Wir sollten nicht mehr so hart vorgehen wie bisher“, sagt er und springt in einen Pick-up – in Narathiwats Zentralmoschee will er bei Hinterbliebenen anderer Opfer Abbitte leisten. Dort überreicht er jedem 6000 Baht (rund 115 Euro) und einen Lebensmittelkorb.
Die Trauernden nehmen seine Worte ohne Regung auf. „Ich habe meinen Sohn nur an der Identitätskarte erkannt. Sein Gesicht war zerstört. Seine Fingernägel haben gefehlt“, sagt eine hagere Frau.

Ein paar Kilometer weiter nördlich feiern Buddhisten im Hongsaram-Tempel. Sie spenden Geld für die Mönche, das diese auf Stöcke spießen und in einer Prozession um den Tempel tragen. Soldaten mit Stahlhelm wachen am Eingang, den auch ein leichtes Maschinengewehr sichert.
Die Buddhisten gehören hier zur Minderheit – und sie haben Angst vor der Rache der Muslime. Einige wollen fortziehen. „Mich muss ein Leibwächter schützen, wenn ich morgens betteln gehe“, klagt ein Mönch. Die Lehrerin Pong schwenkt aufgeregt ihr Korbtäschchen: „Mein Mann ist neulich von einer Kugel ins Bein getroffen worden. Sie wollten seinen Freund, einen Polizisten, erschießen. Da hat er sich dazwischengeworfen.“

In Suso umfriedet eine niedrige Betonmauer auf einer Kautschukplantage das Grab der Fußballer vom „TR Sport“. Der Imam hat sie gemeinsam beerdigen lassen. Nach der Fastenzeit will sich Trainer Pittaya Spieler für eine neue Mannschaft zusammensuchen. Im März fängt die Saison wieder an.

Von Andreas Lorenz (Der Spiegel)

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