„Noch schmutzig vom Reisfeld“

Abends gegen acht, wenn das Geschäft in Bangkoks Go-go-Bars und Massage-Salons allmählich auf Touren kommt, macht sich Nati Anukan auf den Weg. Er streift durch Pulks amüsiersüchtiger Touristen im Rotlichtviertel Patpong, vorbei an Bars, in denen sich Thai-Mädchen in Badeanzügen an Metallstangen räkeln.Natis Ziel sind die Ecken, an denen er die Verletzlichsten im Sexgeschäft trifft – Kinder und Jugendliche. Der Sozialpädagoge arbeitet als Streetworker für die gemeinnützige „Stiftung für ein besseres Leben der Kinder“ – eine von etwa 30 privaten Hilfsorganisationen in der thailändischen Hauptstadt, die gegen Kindesmißbrauch und Kinderelend kämpfen.

Auf seiner Tour versucht Nati, 26, den Kids von Patpong ein Stück Kindheit zu geben. Er hilft ihnen, wenn sie krank sind, spielt und redet mit ihnen in dem nahe gelegenen Lumphini-Park.

Im Fast-food-Laden an der vierspurigen Silom-Road, wo der Verkehrslärm ins Trommelfell schneidet, trifft er Ghey. Sie hat einen freien Tag und treibt sich mit Freundinnen herum.

Ghey ist 13 Jahre alt und arbeitet als Animiermädchen in einer Sexbar für Ausländer. Sie muß nett sein zu den fremden Männern, sie zum Trinken ermuntern, schwere Hände auf ihren Hüften dulden. Wenn ein Gast sie gegen Bares an der Theke „auslöst“, gehört sie ihm die ganze Nacht.

Nach ihrem Alter fragen die Freier nur manchmal. „Ich sage ihnen die Wahrheit“, behauptet Ghey, „einige lehnen dann ab, aber viele sagen: Kein Problem.“ Weil sie so jung ist, zahlen die meisten Fremden sogar Spitzenpreise, mitunter 170 Mark für eine Nacht. Dafür muß ein Hausmädchen einen Monat arbeiten.

In den Bars hat Ghey gelernt, ihre Gefühle zu verbergen. Unterm Tisch versteckt sie die linke Hand mit den abgekauten Fingernägeln. Auf dem Tisch liegt die rechte mit den schönen, langen Nägeln. Ihren 13. Geburtstag feierte sie noch zu Hause. Mit ihrer Mutter ging sie in den nahe gelegenen Tempel, um den Mönchen selbstgekochtes Essen zu bringen. Das ist buddhistische Tradition und bringt angeblich Glück.

Ein entleertes Ritual – wenige Tage später lief Ghey weg, angestiftet von einer älteren Freundin. Thailands rasantes Entwicklungstempo mit immerhin noch fast acht Prozent Wirtschaftswachstum hat die alten Werte einer noch immer überwiegend bäuerlichen und armen Bevölkerung durcheinandergewirbelt. Am neuen Wohlstand des Landes, bisher den oberen 20 Prozent vorbehalten, wollen alle teilhaben. Die Kinder müssen mitverdienen, notfalls auf dem Strich. Zuhälter locken sie häufig mit falschen Versprechungen in die Stadt, manchmal werden sie von den eigenen Eltern verkauft. Das traditionelle Familiengefüge zerfällt, etwa durch Arbeitslosigkeit. Auch Gheys Vater hockt nutzlos zu Hause herum, die Mutter verkauft Papayas am Straßenrand.

„Der Vater sagte, wir müssen das Land verkaufen, die Mutter sagte, wir nehmen die Kinder von der Schule“, heißt es in einem thailändischen Popsong, „sie wollte Jeans tragen und konnte noch nicht mal richtig lesen und schreiben. So verlor sie ihre Unschuld, die Füße noch schmutzig vom Reisfeld.“

Das Lied hat der Oberst Surasak Suttharom geschrieben, für Mädchen wie Ghey. Vom Erlös seiner Musik-CD mit thailändischen Popstars werden Schulstipendien finanziert.

Surasak, Chef einer 40köpfigen Spezialeinheit, steht für den Teil der thailändischen Polizei, die energisch gegen die Kinderprostitution kämpft. Seine Beamten machen Razzien im Rotlichtviertel und befreien Kinder aus Bordellen.
Wegen Mißbrauchs minderjähriger Mädchen wird meist gegen Thai-Männer ermittelt. Daß sich jedoch auch immer mehr Jungen prostituieren, so ein Ermittler, hänge vor allem mit dem Sextourismus zusammen.

Oft stoßen Fahnder auf ihre eigenen Kollegen – den anderen Teil der Polizei, der das Geschäft mit dem Kindersex heimlich fördert. Manche Polizisten etwa kassieren von Barbetreibern Schutzgeld nach Mafia-Art. Helfer finden Polizeioberst Surasak und seine Task Force vor allem bei den örtlichen Hilfsprojekten, mit denen er eng zusammenarbeitet, etwa dem Bangkoker Kinderschutzzentrum CPCR.

Hat die Polizei Hinweise auf Minderjährige in einem Nachtklub, gehen CPCR-Mitarbeiter getarnt als Kunden in die Bars, hören sich um, sammeln Beweise. Dann langt die Polizei zu. So wurden im letzten Jahr fünf junge Mädchen mitten in der Show aus einer Bar in Patpong befreit. Sie kamen in eines der Schutzhäuser von CPCR auf der anderen Seite des Flusses im Stadtteil Thonburi.
Hinter dem hohen Eisentor in einem kleinen Haus mit idyllischem Innenhof leben mißbrauchte Kinder für einige Monate in Sicherheit. Auf ihren Betten türmen sich Stofftiere – sie haben viel Kindheit nachzuholen. In dieser Zeit versuchen Betreuer herauszufinden, welcher Beruf den Kindern Spaß machen könnte, und helfen, einen Ausbildungsplatz zu finden. „Ein großer Teil unserer Arbeit“, sagt eine Psychologin, „besteht darin, den Kindern Selbstbewußtsein zu geben.“

Viele der Mädchen wurden aus armseligen Thai-Bordellen im Norden befreit. Wie Tiere werden die Prostituierten dort mitunter in enge Zellen gesperrt, wo sie auch die Freier erdulden müssen.

Doch etliche Hilfsversuche schlagen fehl. Kürzlich tauchten die befreiten Mädchen aus Patpong wieder auf – zurück im Rotlichtviertel.
Trotzdem glauben CPCR-Mitarbeiter, daß mehr als die Hälfte der betreuten Mädchen den Ausstieg schaffen. „Das Problembewußtsein ist zwar da“, sagt dagegen Amihan Abueva von der Organisation „End Child Prostitution in Asian Tourism“ (ECPAT), „aber solange wir die Ursachen nicht beseitigen, wird sich nichts ändern.“

Einer dieser Gründe ist die fehlende Ausbildung. Wie bei Ghey kümmert sich in Thailand kaum einer darum, wenn ein Kind plötzlich nicht mehr zur Schule kommt. Einer Studie zufolge waren ein Viertel der Frauen in der Sexindustrie nie auf einer Schule, ein weiteres Viertel hat die Grundschule nicht beendet.
Ghey hätte noch eine Chance, wenn sie nach Hause zurückginge. Sieben Jahre ging sie zur Schule, immerhin schon mehr als die meisten anderen in Patpong. Doch bisher kann sie damit allenfalls Hausmädchen oder Fabrikarbeiterin werden, schätzt Nati. Der Streetworker hat schon viele gesehen, die wieder auf den Strich zurückkamen – wegen des Geldes.

Von Annette Großbongardt (Der Spiegel)

Sollten Sie eigene Beobachtungen machen, schauen Sie bitte nicht weg, sondern wenden Sie sich bitte an diese Stelle:

Bundesamt für Polizei Fedpol

 

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