Thailands Agrarpolitik: Verdorbener Reis, Schulden und fehlgeleitete Bauern

In Thailand hat die Regierung mit festen Abnahmepreisen für Reis Schiffbruch erlitten. Die marktfremde Politik begünstigt Grossbauern, sie schafft Fehlanreize und hat den Staatshaushalt in Schieflage gebracht.

Wie tief der Wurm in Thailands Landwirtschaftspolitik steckt, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass selbst jene, die davon profitieren sollten, auf die Barrikaden steigen. Seit Wochen blockieren wütende Reisbauern Strassen des Königreichs, um auf die ausgebliebenen Subventionszahlungen aufmerksam zu machen. Kommen die Bauern nicht bald zu ihrem Geld, wollen sie sich der Protestbewegung in der Hauptstadt anschliessen, die Thailands Ministerpräsidentin Yingluck Shinawatra lieber heute als morgen stürzen möchte. Anfang Februar fuhren aufgebrachte Bauern, die zum Teil seit vier Monaten auf die ihnen zustehenden Zahlungen warten, mit Traktoren und Lastwagen vor dem Handelsministerium in Bangkok vor.

Von Wettbewerbern verdrängt

Die verzögerten Zahlungen sind aus ökonomischer Sicht noch das geringste Problem einer Agrarpolitik, die darauf abzielte, den Lebensstandard der thailändischen Reisbauern zu heben. Sie garantierte einen fixen Abnahmepreis für ungeschälten Reis von 18 000 Baht (548 $) pro Tonne und übertraf damit Weltmarktpreise um bis zu 50%. Die Regierung begründete das 2011 lancierte Programm im Weiteren mit der Ernährungssicherheit, die durch die produktgebundenen Subventionen gestärkt werde. Thailand könne als «Reis-Grossmacht» höhere Preise durchsetzen, wurde behauptet. Die Architekten dieser irregeleiteten Landwirtschaftspolitik liebäugelten zudem mit einem Kartell der Exporteure und glaubten, sie könnten mit einer vorübergehenden Verknappung des Angebots die Preise in die Höhe treiben.

Eingetreten ist in vieler Hinsicht das pure Gegenteil: 2012 brachen die Exporte um mehr als einen Drittel ein, und Thailand verlor seine Position als weltweit führender Reisexporteur. Bangkok wurde von Vietnam und von Indien überholt, auch weil Delhi sein Ausfuhrverbot für Reis aufgehoben hatte. Nach Jahrzehnten der Selbstisolation versucht sich Burma neuerdings wieder als bedeutender Exporteur zu positionieren. Die Philippinen sodann erhöhten ihre Eigenproduktion.

Während die thailändischen Reisbauern, eine wichtige Klientele der Regierungspartei Pheu Thai, ihre Produktion erhöhten, um mehr Einkommen zu generieren, wuchsen die Lagerbestände rapide an; in den Silos des Landes lagern derzeit rund 20 Mio. t Reis, was mehr als der Hälfte des weltweiten Handelsvolumens für Reis entspricht. Da der Staat Reis ohne Mengenbeschränkungen aufkaufte, verführte er die Bauern zum exzessiven Anbau jenseits der Bedürfnisse des Marktes.

Vernichtende Kritik

Im Gegensatz zu den Versprechungen der Politik hat sich das Los der einkommensschwachen Bauern aber nicht entscheidend verbessert. Laut einer Studie der Weltbank gehören lediglich 18% der ärmeren Bauern zu den Nutzniessern der subventionierten Preise, da in ihren Betrieben nach dem Eigenkonsum nur wenig Überschüsse resultieren. Vom System profitieren primär wohlhabende Grossbauern, die über moderne Bewässerungsanlagen verfügen und dadurch häufiger ernten können, sowie die Betreiber von Getreidemühlen.

Je länger diese Agrar-Subventionitis andauert, desto stärker drohen die Kosten aus dem Ruder zu laufen. Im Erntejahr 2011/12 wies die Regierung einen Verlust von 4,3 Mrd. $ aus, was manche Beobachter als kräftige Untertreibung bezeichnen. Das 2011 gestartete Programm soll die Steuerzahler bis anhin rund 20 Mrd. $ gekostet haben. In seinem jüngsten Länderexamen stellte der Internationale Währungsfonds (IMF) fest, das Vertrauen in Thailands öffentliche Finanzen sei angesichts der unklaren Angaben zum Finanzrahmen der Ankäufe erodiert. Vor dem Hintergrund der steigenden Verschuldung des Schwellenlandes warnte ferner die Rating-Agentur Moody’s, das Programm stelle eine Gefahr für die Fiskaldisziplin dar. Betrug Thailands Verschuldung 2010 lediglich 41,7% des Bruttoinlandprodukts (BIP), ist die Quote inzwischen auf 45,5% (September 2013) gestiegen. Subventioniert wird überdies der Anbau von Mais und Gummi.

Ausser der öffentlichen Verschuldung hat bemerkenswerterweise auch jene der Bauernschaft selbst zugenommen – und zwar nicht erst seitdem die Zahlungen der Regierung ausgeblieben sind. Einige Reisbauern dürften Investitionen in modernes Gerät getätigt haben, um die Produktionsmengen zu erhöhen. In einem aufschlussreichen Aufsatz schreiben Jan Seidel und Rainer Adam von der Friedrich-Naumann-Stiftung, die volkswirtschaftlichen Verluste stünden in keinem Verhältnis zum angeblichen Nutzen, weil die Regierung den Reismarkt monopolisiere und alle Glieder der Wertschöpfungskette kontrolliere und steuern wolle.

Das Aufkaufprogramm bindet in der Einschätzung von Seidel und Adam öffentliche Mittel, die besser in den Ausbau der Infrastruktur, die landwirtschaftliche Forschung oder in eine Ernte-Versicherung gesteckt würden. Damit könnten Einkommenssteigerungen für die Bauern effektiver und nachhaltiger erreicht werden.

China steigt aus

Der IMF seinerseits legte der thailändischen Regierung ans Herz, das Programm aufzugeben und einkommensschwache Haushalte mit gezielten Transferzahlungen zu unterstützen. Unter Beobachtung steht Thailand auch vonseiten der Welthandelsorganisation (WTO): Die Vereinigten Staaten, die Europäische Union, Australien und Kanada wollen geklärt haben, ob Bangkok mit seinen Subventionen nicht gegen WTO-Recht verstösst.

Das jetzige System, das Reishändler und weitere Akteure zu Abhängigen der Bürokratie macht, öffnet zudem ein weites Feld für Korruption und intransparente Geschäfte. So wurden laut thailändischen Presseberichten mehrfach Personen mit politischen Verbindungen begünstigt, oder es wurde Reis aus den Nachbarländern nach Thailand geschmuggelt und zu den marktfremden Preisen an die Regierung veräussert.

Ins Visier der Anti-Korruptions-Kommission geriet neben einem ehemaligen Handelsminister die Regierungschefin Yingluck Shinawatra, die als Vorsitzende des sogenannten Reis-Komitees ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt haben soll. Führt das zweifellos auch politisch motivierte Verfahren zu einem Schuldspruch, droht der Schwester des 2006 gestürzten Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra ein Impeachment. Die Berichte über Misswirtschaft im Zusammenhang mit dem Reishandel brachten China Anfang Februar dazu, eine Bestellung von 1,2 Mio. t – rund 14% von Thailands Jahresexporten – zu annullieren. Peking fehle derzeit das Vertrauen, mit Thailand ein solches Geschäft zu tätigen, gestand Handelsminister Niwatthamrong Bunsongphaisan ein. Dies bedeutete einen weiteren Rückschlag für Bangkok, hatte man doch darauf gehofft, mit sogenannten Government-to-Government-Deals die überfüllten Reis-Silos leeren zu können. Im vergangenen Jahr hatte sich bereits Indonesien alternativen Beschaffungsquellen zugewandt. Und neue Abnehmer wie der Irak und Benin füllen die entstandenen Lücken nicht aus.

Gefangen im Populismus

Da Yingluck seit Dezember 2013 lediglich einem Übergangskabinett vorsteht und wegen der politischen Verwerfungen im Königreich nicht absehbar ist, wann eine neue Regierung gebildet werden kann, sind rasche Entscheide schwierig. Für den Abschluss von Lieferabkommen mit weiteren Ländern braucht die Ministerpräsidentin die Zustimmung der ihr wenig freundlich gesinnten Wahlkommission.

Im Januar sickerte durch, dass thailändische Beamte offenbar versucht hatten, Reis 30% unter den Produktionskosten an die Philippinen zu verschachern. Dies geschah, nachdem der Taifun «Haiyan» im November viele Anbauflächen für Reis zerstört hatte. Trotz den offerierten Preisabschlägen gaben die Philippinen Vietnam, ihrem traditionellen Lieferanten, den Vorzug.

Derweil klagen mehr als eine Million thailändische Bauern über ausgebliebene Zahlungen der Regierung. Selbst staatliche Institute wie die Krung Thai Bank lehnten es ab, zusätzliche Mittel für das Programm zur Verfügung zu stellen. Eine vom Finanzministerium angesetzte Auktion für einen Sonderkredit wurde unlängst abgeblasen: Viele Banken sahen von einer Beteiligung ab, weil sie daran zweifelten, dass die Übergangsregierung dazu berechtigt ist. Bereits im vergangenen Jahr brauchte die staatliche Bank for Agriculture and Agricultural Cooperatives, die den Ankauf von Reis finanzieren soll, eine Geldspritze. Schon damals harzte es mit dem Absatz der Reisvorräte.

Yingluck macht für den jüngsten Schlamassel die Protestbewegung des ehemaligen Vizeministerpräsidenten Suthep Thaugsuban verantwortlich. Seit vergangenem November wird die Arbeit der Verwaltung durch Sabotageaktionen beeinträchtigt. Von Regierungsseite wurde zudem versucht, die Kalamitäten mit währungspolitischen Entwicklungen zu erklären.

Obwohl auch die überzeugtesten Anhänger dieser populistischen Agrarpolitik erkennen müssen, dass sie auf lange Frist kaum durchzuhalten ist, sind selbst marginale Anpassungen nur schwer durchzusetzen. Als die Regierung eine Reduktion des Abnahmepreises um 1500 B (46 $) erwog, drohten die Bauern sofort mit Protesten. Die Vorgängerregierung glich jeweils die Differenz zwischen einem Mindestpreis und dem Marktpreis aus – eine Art Interventionismus, der den öffentlichen Haushalt weit weniger belastete.

Ein Käufermarkt

Das von Yingluck initiierte Stützungsprogramm für die Reisbauern läuft Ende Februar 2014 formell aus. Das gegenwärtige Übergangskabinett ist nach Angaben des Handelsministeriums nicht ermächtigt, eine Verlängerung der Subventionen zu genehmigen. Zumindest vorübergehend muss sich der Agrarsektor daher dem freien Markt fügen. Für 2014 haben die thailändischen Reisexporteure einen Zuwachs der Ausfuhren von 14% veranschlagt. Allerdings werde man den Verkaufspreis bis auf 370 $ pro Tonne senken müssen. Dass die thailändische Regierung in der Bredouille steckt und angesichts der beschränkten Lagerfähigkeit und von Liquiditätsproblemen den Ankauf von Reis zu verringern sucht, haben auch potenzielle Abnehmer begriffen.

Wenig produktive Landwirtschaft

Thailands ländliche Regionen haben einen enormen Entwicklungssprung hinter sich: Lebten vor einem halben Jahrhundert noch 96% der Landbevölkerung unter der Armutsgrenze, beträgt dieser Anteil nunmehr 12%. Bauern, die einst in der Subsistenzlandwirtschaft ein hartes Leben gefristet hatten, erzielen inzwischen Überschüsse. Sie haben sich alternative Einnahmequellen erschlossen mit dem Resultat, dass lediglich jeder fünfte Bauernbetrieb sein Einkommen ausschliesslich im Agrarsektor erwirtschaftet.

Im Unterschied zu anderen Wirtschaftssektoren vermochte die Landwirtschaft, die 42% von Thailands Arbeitskräften beschäftigt, indes die Produktivität nur geringfügig zu steigern. Ein Industriearbeiter trägt achtmal mehr zum Bruttoinlandprodukt (BIP) bei als sein Kollege im Agrarsektor. Besonders ausgeprägt ist das Malaise im Reisanbau: Im Nachbarland Laos, dem Thailand sonst entwicklungsmässig um Welten voraus ist, erzielen die Reisbauern höhere Durchschnittserträge.

In ihrer Analyse der thailändischen Agrarpolitik monieren Jan Seidel und Rainer Adam von der Friedrich-Naumann-Stiftung, die Regierung suggeriere, dass die Einkommenslücke zwischen Bauern und Industriearbeitern mit Marktinterventionen geschlossen werden könne. Vernachlässigt werde hingegen die langfristig notwendige Transformation der Landwirtschaft zu einem produktiveren Wirtschaftszweig. Der Internationale Währungsfonds (IMF) verweist darauf, dass sich der Anteil der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung im vergangenen Jahrzehnt kaum verändert hat, was auf eine mangelnde Mobilität der Arbeitskräfte hindeutet.

Bereits während der Amtszeit von Thaksin Shinawatra (2001 bis 2006) waren Milliardenbeträge in die ärmeren ländlichen Regionen gepumpt worden. Dies geschah im keynesianisch geprägten Glauben, damit werde der Konsum angekurbelt und würden Multiplikator-Effekte für die Gesamtwirtschaft erzielt. Mit derselben Argumentation bahnte die Regierung grosse Infrastrukturprojekte an, sie gewährte günstige Kredite, und sie bot medizinische Behandlungen zum Fixpreis an.

Die populistische Wirtschaftspolitik («Thaksinomics») führte in Thailand zwar zu einer markanten Reduktion der absoluten Armutsquote. Nur minim verringerte sich hingegen das Einkommensgefälle. Yingluck kopierte zahlreiche Initiativen ihres 2006 vom Militär entmachteten Bruders und machte neben der populistischen Agrarpolitik Steuererleichterungen für Erstkäufer von Häusern und Autos zu Grundpfeilern ihrer (wankenden) Wirtschaftspolitik.

Marco Kauffmann Bossart, Bangkok für NZZ.CH

 

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